Druck von oben – Wiesbadener WassertĂĽrme

Sie sind die Leuchttürme in unseren Stadtbildern und ragen meist deutlich über 20 Meter empor. Der Wasserturm in Wiesbaden-Biebrich erreicht sogar 42 Meter Höhe. Er steht weithin sichtbar mitten in der Stadtlandschaft zwischen Taunus und Rhein, gehört zu den Wahrzeichen der Stadt und ist der einzige, dessen historische Technik noch weitgehend original erhalten geblieben ist – inklusive unterirdischem Wasserspeicher. Doch die Wassertürme sind weniger Wasserreservoir, sondern Druckverstärker. Mario Bohrmann und Stadtkonservator Martin Horsten begaben sich auf eine Reise zurück in die Geschichte der Wiesbadener Wasserversorgung.

Wassertürme waren erforderlich, wenn für die Aufstellung von Wasservorratsbehältern keine für die Druckerzeugung ausreichende natürliche Anhöhe zur Verfügung stand. Jeder Wasserturm hat dafür in seinem „Kopf“ einen sogenannten Hochbehälter, der wegen des stetig abfließenden Wassers kontinuierlich nachgefüllt werden muss. Dies erfolgt entweder aus großen unterirdischen Wasserspeichern zu Füßen des Turmes, oder durch Pumpen und Leitungssysteme aus unterirdischen Sammelbehältern an anderen Stellen, teils auch über weitere Strecken hinweg.

Wasserversorgung im Hier und Jetzt
Heute hat Wiesbaden 24 Erdbehälter in neun Versorgungszonen, die sich aus einem ganz einfachen Prinzip und den Wiesbadener Höhenunterschieden zwischen Rhein und Platte, den niedrigsten und höchsten Punkten im Stadtgebiet ergeben. Der größte Erdbehälter an der Flachstraße, Ecke Carl von Ossietzkystraße fasst rund 11.000 Kubikmeter. Zum Vergleich: Ein Schwimmbecken der Olympianorm von 50 Metern Länge, 25 Metern Breite und zwei Metern Tiefe fasst 2.500 Kubikmeter, weniger als ein Viertel. Das Schiersteiner Wasserwerk liegt an diesem niedrigsten Punkt und stellt sozusagen die Zone Null dar. Da das Leitungsnetz und auch sanitäre Anlagen auf maximal 5 bar Druck ausgelegt sind, dies entspricht einer Wassersäule von 50 Metern Höhe, wird von einer Zone in die nächst höhere mit ebendiesem Druck das Wasser nach oben gepumpt. Dort wieder mit 5 bar weiter, in und aus den unterschiedlich großen Behältern, die sich auf dem Weg befinden und in Höhe wie Breite über das Stadtgebiet verteilen. Der tiefste Punkt am Rhein liegt bei etwa 80 Metern über dem Meer, der höchste auf der Platte bei rund 500 Metern. Daraus ergeben sich die acht Versorgungszonen etwa alle 50 Höhenmeter. Diese moderne und ausgereifte Technik hatte man früher noch nicht. Wassertürme sorgten vielerorts für den nötigen Druck von oben. Der Wasserturm am Bingert, oberhalb von Bierstadt gelegen, ist der einzige, der noch in Betrieb ist. Verglichen mit den anderen wurde er eher schlicht und unscheinbar, rein praktisch angelegt. Nicht so grazil und ohne Schnörkel. Die alten Wassertürme belegen, wie sehr man hier auch auf das äußere Erscheinungsbild achtete und kaum Kosten und Mühen scheute. Er sollte Nutzen bringen, aber auch Wohlstand ausstrahlen.

„Bingert an alle“
– Der jĂĽngste unter den Wiesbadener WassertĂĽrmen ist zugleich der einzige, der heute noch in Betrieb ist. Vormals von ESWE erbaut und betrieben, nun unter der Ă„gide von Hessenwasser, einem Zusammenschluss der Mainova AG, der SĂĽdhessischen Gas und Wasser AG, der ESWE Versorgungsaktiengesellschaft und der Riedwerke GroĂź-Gerau, versorgt er die unterhalb gelegenen Wohngebiete Am Heidestock, Birnbaum, HeĂźloch und Aukamm-Housing mit Frischwasser. Die Entstehung der Siedlung fĂĽr die amerikanischen Militärangehörigen war auch der eigentliche Grund fĂĽr seine Errichtung, denn die in den 1950er Jahren gebauten 600 Häuser fĂĽr Armeeangehörige konnten allein durch das Wasserreservoir an den Fichten in Bierstadt nicht mehr versorgt werden. Der Druck, etwas zu tun, nahm also zu, da der Wasserdruck nachlieĂź.

Ein Urgestein von ESWE, der langjährige Wassermeister Friedel Dörr, heute längst im Ruhestand, und Thomas Pfeffermann von Hessenwasser nehmen uns mit auf die Reise durch den 1957 errichteten und 28 Meter hohen Turm am Bingert, der bis heute auch als Funkstation für die ESWE-Verkehrsbetriebe dient. Bis vor rund zwei Jahrzehnten konnte man noch Durchsagen an die Fahrer mithören, die häufig begannen mit: „Bingert an alle“. Doch zurück zum Wasserturm am Bingert, dieser funktioniert bis heute nach dem selben physikalischen Grundprinzip wie die historischen Wassertürme, die nicht mehr in Betrieb sind. Sein auf gemittelt etwa 20 Meter Höhe stehender Hochbehälter fasst bei maximaler Füllung 250 Kubikmeter Wasser. Die Pumptechnik schaltet sich an, sobald die Wassersäule unter 4,00 Meter sinkt, bis sie wieder auf etwa 6,80 Meter angehoben wird. Den Tag über verläuft die Absenkung gleich und mäßig, wenn gegen Nachmittag die ersten Menschen von der Arbeit kommen, nimmt sie stark und schwankend zu. Entsprechend öfter muss nachgepumpt werden. Die alten Hasen der Wasserversorgung schildern uns nicht nur die Funktionsweise des Wasserturms, sondern auch, woher all das Wasser kommt, das wir wie selbstverständlich jederzeit den Leitungen entnehmen können.

18.000.000.000 Liter vom Taunus, Rhein und Ried
Rund 50.000 Kubikmeter am Tag, bis zu 18 Millionen Kubikmeter Frischwasser im Jahr verbrauchen wir Wiesbadener. Woher es kommt wird in einer späteren Ausgabe ein großes Thema sein. Denn alleine die Taunusstollen sind wahre Wunderwerke menschlichen Ideenreichtums und gewaltiger Arbeitsleistung. Der Münzbergstollen zum Beispiel wurde bereits 1876 erbaut und reicht tief unter dem Gebirge fast bis nach Taunusstein-Wehen. Natürliches, durch teils hunderte Meter hohe Erdschichten gefiltertes Sickerwasser benötigt Monate und Jahre um dort anzukommen, und über sanftes Gefälle aufgefangen und weitergeleitet zu werden. Wie stolz man auf diese Anlagen war, zeigen zum Beispiel die versteckten Portale des Schläferskopfstollens und des Kreuzstollens oberhalb der Fasanerie. Reich dekoriert, wo man heute nur eine pragmatische Betonwand gießen würde.

Der Schiersteiner Wasserturm
Der heute etwas versteckt inmitten einer modernen Wohnbebauung stehende Schiersteiner Wasserturm gegenĂĽber der ehemaligen Hauptverwaltung der Sektkellerei Söhnlein, heute Rheingau-Palais genannt, wurde im Jahr 1914 erbaut. Er diente der Wasserversorgung fĂĽr die Sektkellerei, die einen erhöhten Wasserdruck benötigte, um hier täglich tausende Flaschen spĂĽlen zu können. In seiner schlanken, fast märchenhaft anmutenden Gestaltung erinnert er an mittelalterliche StadttĂĽrme. Zusammen mit der ihn ursprĂĽnglich umgebenden Bebauung am Rande des alten Fischerdörfchens Schierstein trug er frĂĽher zu einem sehr pittoresken Ortsbild bei, dass an Szenen der romantischen Landschaftsmalerei erinnerte. Davon ist nicht mehr viel ĂĽbrig geblieben. Der Schiersteiner Wasserturm steht unter Denkmalschutz und wird seit langem privat fĂĽr Wohnzwecke genutzt.‘

Der Igstadter Wasserturm
Er kommt auf den ersten Blick „moderner“ daher als sein Schiersteiner Kollege, wurde aber bereits 1910 nach den Plänen der Maschinenbau Aktiengesellschaft Köln-Bayenthal erbaut: der Wasserturm in Igstadt. Er ist 27 Meter hoch und steht – natĂĽrlich – als technisches Denkmal unter Denkmalschutz. Wie der ältere Biebricher Wasserturm hatte er einen so genannten „Intze-Behälter“ (Ringbehälter, unten konisch zulaufend). Bis 1966 in Betrieb, wurde er 2005 privatisiert, da die Stadt die aufgelaufenen sechsstelligen Sanierungskosten nicht tragen wollte. Aufgrund der reinen Wohnumgebung schied eine gewerbliche Nutzung aus. Ihn als nutzungsfreies technisches Denkmal zu erhalten, lieĂź sich angesichts der notwendigen Investitionen fĂĽr die Erhaltung nicht darstellen. Nach dem Denkmalschutzgesetz gibt es verschiedene SchutzgrĂĽnde, so die Erhaltung aus kĂĽnstlerischen, wissenschaftlichen, technischen, geschichtlichen oder städtebaulichen GrĂĽnden. Hier wurde letztlich die städtebauliche Bedeutung am höchsten gewichtet, denn der Wasserturm war längst liebgewonnenes Wahrzeichen von Igstadt und eine Landmarke fĂĽr das „Ländchen“.

Die Denkmalpflege konzentrierte sich somit auf den Erhalt des historischen Erscheinungsbildes nach außen und ließ für bauliche Veränderungen im Innern viel Raum. Nach der Privatisierung wurden die Instandsetzungs- und Umbauarbeiten für Wohnzwecke unter anderem mit Mitteln der Erich Haub-Zais-Stiftung für Denkmalpflege gefördert und in enger Abstimmung mit den städtischen Denkmalpflegern geplant und umgesetzt. Aus Brandschutzgründen und als Rettungsweg wurde ein neuer Umgang angebaut, der den Bewohnern zugleich als Balkon mit unvergleichlichem Ausblick dient, und heute ein wenig die Assoziation eines Leuchtturms aufkommen lässt.

Der Wasserturm des Schlachthofs am Hauptbahnhof
Der alte Schlacht- und Viehhof von Wiesbaden, unmittelbar neben dem Hauptbahnhof gelegen, wurde in Folge des raschen Bevölkerungswachstums von 1895 bis 1902 umfassend durch den Stadtbaumeister Felix Genzmer erweitert. Von den sehr repräsentativ angelegten umfangreichen Bauten sind heute lediglich der 36 Meter hohe Wasserturm und eine Maschinenhalle vollständig erhalten geblieben. Sie stehen unter Denkmalschutz. Für die nicht geschützte ehemalige Schlachthofhalle ist die Abbruchgenehmigung erteilt. Eine neue Halle wurde inzwischen errichtet und in Betrieb genommen.
Mit seinem quadratischen Grundriss, seinem Glockendach und seiner Monumentalität ist der Schlachthof-Wasserturm eine Besonderheit unter den Wiesbadener Wassertürmen. Er wurde 1898 zur Druckwasserversorgung für den städtischen Schlachthof konzipiert und wie die gesamte Gebäudegruppe gestalterisch aufwendig errichtet. Die technischen Anlagen sollten das Auge der mit der Bahn anreisenden Kurgäste nicht beleidigen. Zeitgenössische Kritiker befürchteten nämlich, dass die Kurgäste durch Fabrikanlagen und rauchende Schlote verschreckt werden könnten. Zudem fuhr der Kaiser bei seinen Besuchen in Wiesbaden unmittelbar auf Gleis 1, dem „Kaisergleis“, am Schlachthof vorbei. Und welcher Stadtverantwortliche wollte solche zugkräftigen Promi-Gäste schon verschrecken?

Wie alle anderen Schlachthofgebäude sollte ursprünglich auch der Wasserturm abgebrochen werden, um die vom Umweltschutz gewünschte Abluftschneise für die Innenstadt freizustellen. Die Abbrucharbeiten hatten bereits begonnen als gerade noch die Notbremse gezogen werden konnte. 2003 vom Wiesbadener Kurier als „todkranker Patient“ bezeichnet, wurden daraufhin Aufmaß und Bestandsuntersuchungen durch ein internationales Studierendenteam unter Leitung von Professor Emil Hädler von der Fachhochschule Mainz begonnen. Es gab diverse Planungen und Ideen, so auch die von Matthias Schenk vom Schloss Freudenberg, im Turm ein Wassermuseum einzurichten. Doch letztlich wurden sie allesamt verworfen. Vandalismus hatte dem Turm und der Maschinenhalle zudem immer wieder arg zugesetzt. Für eine Reanimierung des Patienten war es beinahe schon zu spät.

Nach intensiven Diskussionen kam es letztlich zum Umdenken, der von der Stadt längst aufgegebene Wasserturm wurde in das neue Konzept des Kulturparks Schlachthof integriert und in jüngster Zeit als technisches Denkmal im Auftrag des Kulturdezernats durch die stadteigene Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) instand gesetzt. In den oberen Geschossen befinden sich heute Büros des Kulturzentrum „KuK“. Am Tag des offenen Denkmals konnte die Öffentlichkeit einen Blick in die ansonsten nicht zugänglichen Bereiche werfen. Wie so oft, hat der Erfolg am Ende viele Väter und Mütter, wie sich bei der Einweihung zeigte. Der Schlachthof-Wasserturm ist heute wieder ein echter Hingucker geworden, der einzige Wasserturm übrigens, der noch im Besitz der Stadt geblieben ist.

Südlich des Hauptbahnhofs stand einst ein monumentaler Bahnwasserturm, der zur Befüllung der Dampflok-Wasserbehälter diente. Dieser wurde 1977 gesprengt.

„Schöne Aussicht“ – Der Biebricher Wasserturm auf der Adolfshöhe

Der Wasserturm auf der Adolfshöhe, 1896/97 als Wasserturm und „Schöne Aussicht“ im Auftrag der damals noch selbständigen Stadt Biebrich erbaut und 42 m hoch, ist ein herausragendes architektonisches und technikgeschichtliches Denkmal in der Denkmallandschaft Wiesbaden und von überregionaler Bedeutung. Die feierliche Inbetriebnahme erfolgte am Nikolaustag 1897. Er sollte das neu angelegte Landhausviertel auf der Adolfshöhe mit Wasser versorgen.

Bei dem Biebricher Wasserturm handelt sich um einen der ersten Türme im Deutschen Reich, die mit dem erst kurz zuvor patentierten „Intze-Behälter“ ausgestattet wurden, benannt nach seinem Erfinder, Professor Otto Intze, einem bedeutenden Wasserbau-Ingenieur, der an der Technischen Hochschule Aachen forschte und lehrte. Dieser, im Volumen gegenüber älteren Konstruktionen etwas kleinere, nach unten konisch zulaufende Wassertank im Turmkopf ermöglichte den Bau schlankerer und damit kostengünstigerer Schäfte und verlieh den Wassertürmen ab da ihre charakteristische Gestalt mit dem „Kopf“. Der Biebricher Wasserturm zeigt zudem eine seltenere Sonderform, einen ringförmig ausgebildeten Wasserbehälter, durch dessen „Auge“ eine Spindeltreppe in die Spitze des Turmes und damit in die Laterne und auf die Aussichtsplattform führt.

Das geringe Wasservolumen erforderte ergänzend große Wassertanks, um den Hochbehälter im Bedarfsfall zügig und kontinuierlich befüllen zu können. Die technische Funktionsweise des Turmes kann daher nicht ohne die zugehörigen Wassertanks zu seinen Füßen verstanden werden. Sie fassten hier ursprünglich 1.000 Kubikmeter. Die Erhaltung zumindest eines der Tanks am Biebricher Wasserturm ist daher schon allein aus denkmalpflegerischen Gründen zwingend erforderlich, um seine Funktionsweise auch in Zukunft am Original nachvollziehen zu können.

Ein Problem der Wassertürme war die Erwärmung des gespeicherten Wassers aufgrund der exponierten Lage. Der stählerne Wassertank dient bei den Intze-Türmen oft zugleich als wesentliches tragendes Konstruktionselement, an dem die mit einem Abstand vom Tank vorgehängte Ziegelaußenwand befestigt ist. So entsteht eine wärmeregulierende Luftschicht zwischen der Außenhülle und dem eigentlichen Wasserbehälter. Selbst bei stärkerer Sonneneinstrahlung blieb das Wasser im Tank vergleichsweise kühl. Die Fenster im Kopf des Biebricher Wasserturms täuschen daher. Von dort aus ist keine Aussicht möglich. Sie dienen dekorativen Zwecken. Die Laterne auf dem Turm diente dagegen zugleich auch der Abführung warmer Luft.

Welche Bedeutung der äußeren Gestaltung solch technischer Großbauwerke in der Vergangenheit beigemessen wurde, fasst anschaulich ein Zitat aus einem weit verbreiteten Standardwerk der Baukunst zusammen: „Die Rücksichtnahme auf die äußere Form des Behälterum- und –unterbaus sollte bei den Wassertürmen, die oft ein ganzes Landschaftsbild oder einen Teil des Stadtbildes beherrschen, nie aus den Augen gelassen werden.“ (aus: Wasmuths Lexikon der Baukunst, Vierter Band, Berlin 1932, S. 682).

Dafür ist der Biebricher Wasserturm zweifellos eines der qualitätvollsten und schönsten Beispiele im gesamten Deutschen Reich gewesen. Rainer Slotta nannte ihn ein „Sichtstück“, war er doch ganz auf Repräsentation, auf Schau hin angelegt. Er war gemeint als Wahrzeichen des aufstrebenden Gemeinwesens der zur Bauzeit noch selbständigen Stadt Biebrich am Rhein. Zugleich fügte er sich ganz im Interesse der Weltkurstadt nahtlos in die programmatische Inszenierung der Kur-Landschaft rund um Wiesbaden ein. Bis heute ist er eine Landmarke im Rheintal und neben der Russischen Kirche an den Taunushängen eines der Wahrzeichen und Identifikationsmerkmale von Wiesbaden.

Schöne Aussichten
Dass er gleichermaßen auch als Aussichtsturm, als „Schöne Aussicht“, errichtet wurde, belegen beispielsweise zeitgenössische Postkarten. Der Blick vom Turm auf die Weltkurstadt vor dem dunklen Taunushang gehört sicher zu den beeindruckendsten Stadtansichten, die Bewohner und Gäste der Stadt bis 1914, also bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs erleben konnten. Gegen Entgelt konnte man durch den Turmwärter über 235 Stufen einer Stahltreppe auf die Aussichtsplattform geführt werden.

Der Biebricher Wasserturm war nur vergleichsweise kurz in Betrieb. Schon drei Jahre vor der 1926 erfolgten Eingemeindung Biebrichs wurde der Turm vom Netz genommen. Allein die unterirdischen Wasservorratsbehälter mit dem Wassermeisterhäuschen blieben weiterhin in Betrieb. 2003 wurde der Turm mit den angrenzenden Flächen und unterirdischen Wasserspeichern, insgesamt 4.200 Quadratmeter, unter dem damaligen Stadtkämmerer Dr. Helmut Müller durch ESWE an den Bauunternehmer Wilhelm Müller verkauft. Das Wassermeisterhaus wurde ebenso wie der größere der beiden historischen Erdtanks abgebrochen, die Flächen mit Wohngebäuden bebaut. Es entstand eine Diplomarbeit, die Möglichkeiten einer künftigen Nutzung auslotete. Versuche der Stadt, Fördermittel aus dem Bereich der Städtebauförderung für die Rettung des Turmes zu bekommen, scheiterten schon in der Startphase. Eine eigens gegründete Stiftung und ein Förderverein bemühten sich seit 2005 erfolglos, zukunftsfähige Lösungen zu finden. Verschiedene Planungen scheiterten an planungs-, bau- und denkmalschutzrechtlichen Bedingungen und am Widerstand von Nachbarn. Eine Lösung gibt es bis heute nicht. Die Stiftung wurde wieder aufgelöst, die Mitglieder des Fördervereins gaben frustriert auf.

Der Turm und der noch erhaltene, ebenfalls beeindruckende Wasserspeicher an seinem Fuß sind als Kulturdenkmäler durch das Hessische Denkmalschutzgesetz geschützt. Ihre Erhaltung liegt in besonderer Weise im Interesse der Allgemeinheit. Die Suche nach einer geeigneten Nutzung hält an. Es bleibt zu hoffen, dass bald eine tragfähige Lösung gefunden wird, um dieses im wahrsten Sinne herausragende kulturelle Erbe aller Wiesbadenerinnen und Wiesbadener zu retten.

Der Wasserturm von Dyckerhoff
Der Wasserturm vor dem Dyckerhoff-Areal liegt direkt am Rhein und wurde 1882 errichtet. Somit gehört er zu den ältesten Bauten der ersten Phase des Werksaufbaus und ist auch der älteste Wasserturm im Stadtgebiet. Wegen seiner Lage zwischen Rheinufer und Uferstraße kommt ihm besondere städtebauliche Bedeutung zu, die durch die erhaltene historische Firmeninschrift „Dyckerhoff & Söhne“ noch unterstrichen wird. Für seinen Schutz sind künstlerische, technische und städtebauliche Gründe maßgeblich.

Kommentar von Mario Bohrmann
D
er Eigentümer des Biebricher Wasserturms zeigte sich von Anfang an offen und wünschte selbst eine öffentliche Nutzung des Turmes. Dr. Boye Claussen, Ortsbeiratsmitglied in Biebrich und FDP-Stadtverordneter, war Ideengeber und leidenschaftlicher Verfechter einer Förderung dessen. Er gründete 2008 gemeinsam mit Alfred Weigle, einem großen Mäzen Wiesbadens, der auch die Medenbacher Autobahnkirche nahezu vollständig aus eigenen Mitteln finanzierte und erst kürzlich die Fasanerie mit 300.000 Euro Fördermitteln bedachte, einen entsprechenden Förderverein. Bereits 2005 war durch eine Pachtvereinbarung der Turm an Herrn Weigle verpachtet worden, mit dem Ziel, nach zehn Jahren und nach dessen Sanierung in dessen Besitz überzugehen und wieder an die Stadt Wiesbaden übertragen zu werden. Ein Wassertechnik- oder Heimatmuseum hätte es werden sollen. Die Kosten einer Generalsanierung wurden mit rund zwei Millionen Euro veranschlagt, erste Unterstützungszusagen von Gottfried Kiesow, Gründer der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, waren vorhanden und Architekten begannen mit den Planungen.
Doch es gab nur wenig Interesse von Seiten der Politik, das Ansinnen auch finanziell zu unterstützen und kein Fortkommen in der Sache. Im kommenden Jahr läuft eine mit dem Verkauf vertraglich vereinbarte Veränderungssperre aus. Der Eigentümer wird versuchen, diesen in irgendeiner Form noch für privaten Wohnraum nutzbar zu machen. Aber er zeigt sich vermutlich immer noch offen für einen anderen Weg, der die Öffentlichkeit teilhaben lässt. Dies ginge aber nur, wenn entsprechende Mittel von privater Seite oder aus Fördertöpfen eingeworben werden können und man eine tragfähige Lösung findet, mit der alle leben können und die auch die Anwohner mitnimmt. Als Biebricher und für Wiesbaden wünsche ich mir sehr, dass ein weiterer Versuch gestartet wird. Der Biebricher Wasserturm ist geradezu prädestiniert als Wassermuseum für „Wisibada“ – und für Menschen mit Weitblick!

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