Von Frauenpower und Geschichte

frauen museum wiesbaden – interdisziplinĂ€re Kulturvermittlung

Das frauen museum wiesbaden wirkt von außen eher unauffĂ€llig – durch den Hof gleich rechts gelangt man in den hohen Seitenbau – braucht sich mit 600 Quadratmetern AusstellungsflĂ€che gleichwohl nicht zu verstecken. Bei unseren mehrfachen, auch zufĂ€lligen Begegnungen mit den Museumsmacherinnen in der Wörthstraße 5 (weil wir gerade das Höppli-Haus gegenĂŒber besuchten oder mit KĂŒnstlerinnen in den benachbarten Ateliers verabredet waren), war dort stetige GeschĂ€ftigkeit zu spĂŒren und in irgendeiner Etage ist immer etwas los, oder eine Ausstellung wird auf-, ab-, oder umgebaut. Auf vier Stockwerken werden neben der archĂ€ologischen Dauerausstellung wechselnde Sammlungen und Werke ĂŒberwiegend kulturhistorischer und auch kĂŒnstlerischer Ausrichtung prĂ€sentiert. SelbsterklĂ€rtes Ziel ist, die Leistungen von Frauen in allen Lebensbereichen, in Geschichte, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, sichtbar zu machen. Von Mario Bohrmann

Die KontinuitĂ€t der Macherinnen des frauen museum wiesbaden, allen voran Beatrixe Klein, MitgrĂŒnderin seit 1984, ist beeindruckend und konsequent. Der TrĂ€gerverein Frauenwerkstatt Wiesbaden e.V. beheimatete viele unterschiedliche Einrichtungen. Der „MĂ€dchentreff“ half bei der Ausbildungsplatzsuche, war Seelentröster und mehr. Die FrauenbildungsrĂ€ume vermittelten Wissen, der „Neue Start ins Berufsleben“ betreute Frauen nach der Babypause. Schließlich entstand der Wunsch die Leistungen von Frauen sichtbar werden zu lassen.

Inspiriert durch das erste Frauenmuseum, gegrĂŒndet 1982 in Bonn, folgte das frauen museum wiesbaden zeitlich nur zwei Jahre spĂ€ter und ist damit das drittĂ€lteste der Welt. Im gleichen Jahr gestand Liechtenstein als letzter aller europĂ€ischen Staaten Frauen erstmals das Wahlrecht zu (sic!).

Weltweite Bewegung

Frauenmuseen gibt es mittlerweile auf allen Kontinenten und sie sind zu einem großen Teil unabhĂ€ngig voneinander entstanden. Die Frauenmuseen der Vereinigten Staaten und Europas haben ihren Ursprung in der Zweiten Frauenbewegung und dem damit zusammenhĂ€ngenden neuen VerstĂ€ndnis von Geschichte als Gendergeschichte. Aber auch die Museen anderer Kontinente wurzeln in dem VerstĂ€ndnis eines modernen Feminismus. Sie bringen Geschichte, Kultur und Kunst von Frauen einem interessierten Publikum nĂ€her.

Bonn war 2008 auch GrĂŒndungssitz des heutigen Dachverbandes „The International Association of Women’s Museums“ (IAWM), der jetzt von Meran aus ein Netzwerk von 25 Frauenmuseen betreut. Die iranische FriedensnobelpreistrĂ€gerin Shirin Ebadi wurde zur dauerhaften Patin des Netzwerkes. Ihre Aussage von 2003 „Es sind die Frauen, die die Geschichte der Welt schreiben! Es sollte in jedem Land in dieser Welt ein Frauenmuseum existieren!“ ist zum Leitwort des Vereins geworden.

„Frauenmuseen sollen die Erziehung, Selbstsicherheit und StĂ€rkung der Frauen fördern und Bewusstseinstraining, Möglichkeiten fĂŒr unabhĂ€ngiges Handeln und Werkzeuge zur Überwindung von Diskriminierung bieten.“ (IAWM)

Ein ebenso wichtiges Anliegen ist es, die oft verschĂŒttete Frauengeschichte sichtbar zu machen und Vorbilder aufzuzeigen. Damit wollen die Frauenmuseen einen Beitrag zu einer geschlechterdemokratischen Gesellschaft leisten.

Wiesbadens Frauenmuseum bewegt mit dem kleinen Kernteam um Beatrixe Klein, Kim Engels und der stets gut gelaunten wissenschaftlichen Mitarbeiterin Agnes Maria BrĂŒgging-Lazar unglaublich viele Veranstaltungen, wenn man sich den Kalender auf der Homepage anschaut. Durch Kooperationen und unzĂ€hlige ehrenamtliche Helferinnen und Helfern werden weitere Bildungsmöglichkeiten organisiert, die schon bei den Kleinsten ansetzen. MuseumspĂ€dagogische Projekte lassen Kinder ab 3 Jahren Ausstellungen und Sammlungen detektivisch erkunden.

FĂŒhrungen fĂŒr Schulklassen und thematisch besondere GruppenfĂŒhrungen, nicht nur durch die Ausstelllungen, sondern auch als StadtrundgĂ€nge, mit Schwerpunkt historischer Frauen, oder WaldspaziergĂ€ngen, mit naturkundlichem Hintergrund und mythologisch-philosophischen Begleitgeschichten werden angeboten.

InterdisziplinĂ€r und Kulturen ĂŒbergreifend

ZusĂ€tzlich werden interdisziplinĂ€re VortrĂ€ge, Seminare und Workshops, aktuell in dem ganzjĂ€hrigen Projekt „Bridges in a Global World“ abgehalten. Begleitet von den Ausstellungen sollen sich unterschiedliche Kunstformen mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zu einer Gesamtperformance verbinden. So werden in interaktiven Dialogen Fragen der Zugehörigkeit zu einer Religion, Ethnie oder Kultur, auch im VerhĂ€ltnis zu Geschlecht und Ökonomie untersucht: Gibt es in der Vielfalt und Verschiedenheit menschlichen Seins etwas Universelles? Gibt es in einer globalen Welt ĂŒber alle Kulturen hinweg etwas Übergreifendes, Verbindendes? Gibt es etwas, was es uns ermöglicht, Trennendes zu ĂŒberbrĂŒcken?

Das frauen museum wiesbaden hat seit seiner GrĂŒndung, in den ersten sechs Jahren waren sie noch in der Nerostraße 16 eher bescheiden untergebracht, mehr als 200 Ausstellungen konzipiert und kuratiert. Sie wurden teilweise weltweit verliehen und die thematische Bandbreite lĂ€sst auch im eigenen Haus auf vier Etagen eine stets unterschiedliche Bespielung der RĂ€ume zu. Auch Lesungen, Podiumsdiskussionen und Tanzdarbietungen organisiert das frauen museum und engagiert sich derzeit stark fĂŒr die Sprachvermittlung und Integration von geflĂŒchteten Frauen. Eine zweckgebundene Spende ermöglicht noch bis Ende des Jahres einen sehr erfolgreichen Orientierungskurs fĂŒr eine Gruppe von Frauen aus verschiedenen LĂ€ndern.

Im Sommer konnte zusĂ€tzlich die afghanische KĂŒnstlerin Sara Nabil gewonnen werden, die im frauen museum wiesbaden mit geflĂŒchteten Frauen gleichermaßen biographisch wie visionĂ€r arbeitet. Daraus ist eine ab Ende November zu sehende Installation entstanden, die die Visionen, TrĂ€ume, WĂŒnsche und Ziele dieser Frauen einfĂ€ngt und darstellt. Und weil es in diesem Projekt nur eine gemeinsame Sprache geben konnte, wurde ganz nebenbei Deutsch gelernt.

Seit 1984 ist das frauen museum wiesbaden ein lebendiges Forum der Begegnung, Diskussion, Vielfalt und Offenheit. Mit Mut, Engagement und KreativitÀt leisten die Mitarbeiterinnen des frauen museum wiesbaden wichtige gesellschaftliche Arbeit, regen Debatten an und erweitern durch wissenschaftliche Forschung, Ausstellungen und Veranstaltungen den Blick auf die Gesellschaft. Es finanziert sich durch Spenden, Eintrittsgelder und erhÀlt einen institutionellen Zuschuss vom Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden. Die erfolgreiche Arbeit des Frauenmuseums wurde 1997 mit dem Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden ausgezeichnet.

(Mit Material des IAWM und frauen museum wiesbaden)

 

INFO

Öffnungszeiten

Mi & Do 10 – 17 Uhr
Sa & So 12 – 17 Uhr
an Feiertagen 12 – 17 Uhr

Eintrittspreis

regulĂ€r 6 €
ermĂ€ĂŸigt 5 €

Adresse

frauen museum wiesbaden
Wörthstraße 5
65185 Wiesbaden

Kontakt

Telefon 0611.308 17 63
E-mail info@frauenmuseum-wiesbaden.de

 

Geschlossen: 12. Dezember 2016 – 8. Januar 2017

 

NĂ€chste Ausstellungen:

Wo ist Frau Orpheus?

Christine Rieck-Sonntag
25. September bis 11. Dezember 2016

Auf ihrer Spurensuche nach Frau Orpheus in Bulgarien nutzte Christine Rieck-Sonntag Brettchen aus Obstkistenholz, in die sie ihre Visionen mit der Tuschfeder einkratzte. Dabei entstanden ausdruckstarke Bilder.

Cyclomania

Radelnde Fraue
13. November 2016 bis 29. Oktober 2017

Das frauen museum wiesbaden feiert den 200. Geburtstag des Fahrrads und lÀdt vom 13. November 2016 bis 29. Oktober 2017 zu einer Zeitreise in die Geschichte des Damenradfahrens ein.

Die Sonderausstellung „Cyclomania – Radelnde Frauen“ zeigt auf, wie Frauen den MobilitĂ€tsbereich ‚Fahrrad‘ erobert haben und welche enormen gesellschaftlichen WiderstĂ€nde sie dabei zu ĂŒberwinden hatten. Es war das Fahrrad, das die UnterdrĂŒckungsmechanismen der viktorianischen Kleiderordnung beendete. Mit dem Fahrrad verschafften sich nun auch Frauen eine viel grĂ¶ĂŸere Beweglichkeit. Sie konnten weit entfernte Orte in der Stadt leichter erreichen und so wurde das Fahrrad zu einem Symbol der freien, neuen Frau des anbrechenden 20. Jahrhunderts. Um 1900 gehörten radfahrende Frauen in den StĂ€dten zum gewohnten Straßenbild, allerdings hielten sich die Vorurteile gegen das Damenradeln bis weit in die 1920er Jahre.

Zu sehen sind u.a. Fahrradmodelle aus der Zeit von 1880 bis heute, deren Konstruktionen auf die Nutzung von Frauen zugeschnitten waren. Die Sonderausstellung gibt somit kulturhistorische und gegenwartsbezogene Einblicke in die AnfĂ€nge der MobilitĂ€t durch das Fahrrad fĂŒr Frauen. Lokaler Schwerpunkt ist die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden, wobei auch zahlreiche Exponate aus dem Stadt- und Industriemuseum RĂŒsselsheim als Leihgaben zur VerfĂŒgung gestellt werden.

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