Verschollen im Bermuda Dreieck

Das mysteriöse Verschwinden von Schiffen und Flugzeugen im sogenannten Bermudadreieck im Atlantik gab dem Wiesbadener Bermuda Dreieck zwischen Taunusstraße, Nerostraße und Saalgasse seinen spitzen Namen. Angesichts der Vielfalt an Möglichkeiten hier zu essen, zu trinken und zu feiern konnte man auch leicht den Überblick verlieren und in einer der vielen Kneipen verschollen gehen. Eine nostalgische Zeitreise von Mario Bohrmann

Es lässt sich nicht mehr klar ausmachen, wer wann genau den Namen erfunden hat. Mutmaßlich waren es die Kneipengänger selbst. Die Wirte jener Zeit, mit dem Zenit in den 1980er Jahren, fanden jedenfalls durchaus Gefallen und nutzten die Bezeichnung zur Gemeinschaftswerbung. Altbier war noch in, ob in der Zwiebel, wo man auch gediegen essen konnte, oder auf Höhe der Röderstraße im „Hannen Faß“, wo es das Alt oder das Pils auch als „einen Meter Bier“ gab. Schräg gegenüber, im „Parzifal“, mit den hohen Decken und großen Ventilatoren, konnte man holzvertäfeltes Pupfeeling in chilliger Atmosphäre genießen. Der Text aus einer anderen Gemeinschaftsanzeige im Magazin „Boulevard“ Mitte der 1980er Jahre stellt die Besonderheit dieses kleinen Fleckens Wiesbaden besonders charmant und umfassend heraus:

„(…) Die Zahl der Ausgehmöglichkeiten erreicht hier gastronomische Höhen. Wer hier findet, braucht nicht lange zu suchen. Das Umfeld der Saalgasse, Taunus- und Nerostraße hat seine eigenen Gesetze. Schneller als Lust und Laune vergeht im Dreieck nur die Zeit – Allein zu zwei´n dabei zu sein ist genauso möglich wie in netter Runde seine Scen(e)sucht zu stillen. Wie es euch gefällt!

Ob urgemütlich oder im Stil der neuen Zeit, es bleibt jedem selbst überlassen, wo er das Faß-zinierende Angebot an Bieren, exotische Drinks oder die leckeren Sachen für den kleinen und großen Appetit genießt. Oder man zieht erst einmal um die Häuser und lässt sich dann von der Wahl quälen. Wem es Spaß macht, der springt die ganz Nacht im Dreieck. Das Bermuda Dreieck ist bestimmt keine Gemeinwirtschaft, aber eine tolle Wirt-Gemeinschaft.“

Bei „Christos“ Ecke Geisberg-, später in der Nerostraße, konnte man gut griechisch, bei Marcello ein paar Häuser weiter in die Taunusstraße hinein legendär italienisch essen gehen. Gemeinschaft war etwas, was sowohl unter den Wirten wie Anwohnern noch großgeschrieben wurde. Gerade zu den Hochzeiten der Nerostraße, mit ihren vielen kleinen Kneipen, feierten Anwohner und Gäste gemeinsam vor allem „uff de Gass“ – Samstags war oft kein Durchkommen für Fahrzeuge. Wer von der Saalgasse in die Nerostraße einbog, kam nicht weit. Spätestens zwischen Klappe und Wirtshaus wurde der Verkehrsraum in regelrechter „Spontandemonstration“ durch feiernde Menschenmassen besetzt. Oder weil die Leute irgendwo in langen Schlangen auf Einlass warteten, oder an den berüchtigten Türstehern im „EG“, dem Elften Gebot, oder im „Der Mensch verlässt die Erde“ scheiterten. Die Polizei versuchte gar nicht erst, diese Staus aufzulösen. Es gab zwar auch gelegentlich Schlägereien, die jedoch in aller Regel durch Umstehende schnell aufgelöst wurden. Und gelöst und locker war auch die Stimmung der hier überwiegend jungen Leute.

Gegenüber vom Spitzweg verkaufte der legendäre Jonny aus seinem Kiosk heraus Bier und Anderes und achtete in der ihm eigenen charmant-ruppigen Art darauf, dass Abstand gehalten wurde, wenn man Alkohol vor seinem Kiosk trinken wollte. Es gab noch die Sperrstunde und Jonny war nicht nur König der Nerostraße, sondern auch ihr Türsteher. Als er 1988 starb, zeitgleich auch Frank Brabant sein „Pussycat“ an der unteren Adlerstraße nicht mehr selbst betrieb, und nach und nach alte Kneipen verschwanden oder umgenutzt wurden, begann langsam der Niedergang des Bermudadreiecks. Anfang der 1990er verlagerte sich das Publikum mehr Richtung Altstadt, die Goldgasse war im Kommen, die Amerikaner gingen und es wurde ruhiger und für die Gastwirte immer schwieriger. Von den in der Gemeinschaftsanzeige aus dem Stadtmagazin „Boulevard“ aus dem Jahr 1985 vorhandenen Kneipen und Restaurants gibt es kein einziges mehr. Als letztes machte vor wenigen Jahren das Rheingold in der Saalgasse zu und wurde zum Friseursalon umgebaut. Doch mehr als 20 Jahre war das Bermuda Dreieck der Hotspot für die Wiesbadener und die ganze Region und jeder Jahrgang hat seine ganz eigenen Erinnerungen an eine „geile Zeit“.

EXKURS PARTYSTADT WIESBADEN

Für die nach 1970 Geborenen ist heute kaum noch nachvollziehbar, was in Wiesbaden in den 1960er bis Ende der 1980er Jahre los war. Das große Dreieck zwischen Schwalbacher Straße, Altstadt und Taunusstraße war eine einzige Partyzone. Das Bermudadreieck darin entwickelte sich erst, das Jazz-House im ältesten Gebäude der Nerostraße erlebte seine Glanzzeiten mit Jazz-Größen Mitte der 1970er Jahre und man sprach sich, was die Musik angeht, sogar mit dem Nero-Musikpalast im alten Neroberghotel (1975-1983) ab, was die große, auch überörtliche Kollegialität unter Gastwirten jener Zeit belegt.

Der Swing-Fan Albert Butz hatte Anfang der 1960er Jahre die verschlafenen „Gutenberg Stuben“ übernommen und daraus das Jazz-House gemacht, das erst in den 1980er Jahren zum „Wirtshaus“, dann „Gestüt Renz“ und nun zum „Walhalla im Exil“ werden sollte. Unzählige Konzerte und Sessions gab es zuvor im kleinen Hinterzimmer des Jazz-House in der Nerostraße und an einem anderen Wochenende spielte die gleiche Band auf dem Neroberg. Man kam sich nicht ins Gehege und ein unendlich großes Angebot an Kneipen- und Musikkultur zog ab den 1970ern immer mehr erlebnishungrige Menschen in die Stadt.

Im weiteren Umfeld erlebte das Park-Café an der Wilhelmstraße seine Glanzzeiten, der „Apfel“, das Big Apple, sowieso. Es gab zahllose Kneipen und Bars dazwischen, vor allem in der Altstadt, die letztlich das feierfreundliche Verbindungsglied auf dem Weg zum Bermuda Dreieck bildete. Rotlichbezirke oder verruchte Häuser gab es da wir dort und Wiesbaden konnte nun wirklich jedem Publikum bieten was es suchte.

In der Wartburg gab es das Candy und reichlich Nachfolge an Tanz- und Feiermöglichkeiten. 1972 begann dort die wilde Zeit, um den aufgelassenen „Männergesangsverein“, der die Wartburg einmal erbaute. Zur Zeit des „Candy“ kam genauso oft die „MP“ zum Einsatz wie die deutsche Polizei, war es doch auch gerne besucht von Angehörigen der US-Armee. 1978, nun in Privatbesitz, wurde daraus das Hard Rock Café. In dieser Zeit spielten hier „The Police“, „The Clash“ und „Duran Duran“ in den Räumen.

Mit dem Café Plantage unten zogen 1983 oben drüber die „Jünger Oshos“ ein und eröffneten ihre Disco im ersten Stock. Wiesbaden hatte nun eine Bhagwan-Disco und „Zorba the Buddha“ zog weitere Menschen aus der Region in die Stadt. Für wenige Jahre und mehr oder weniger orangerot mischten sich Anhänger der Bhagwan-Sekte ins Stadtbild. Die Disco lief wie geschnitten Brot, doch die Gewinne gingen wohl eher nach Übersee in Oregon, dem Domizil von Osho. Bhagwan Shree Rajneess hat es seinen Jüngern schon immer gesagt: „Feiert das Leben, genießt alles, was euch die Welt zu bieten hat. Und dann geht, ohne euch noch einmal umzusehen.“

In Wiesbaden blieben nach zwei Jahren mehr als 2 Millionen Mark Schulden und das Café Plantage, nun in stetigem Wechsel an Inhabern der Gastronomie an dieser Stelle und obwohl die Wartburg danach in den Besitz der Stadt kam, blieb schwieriges Gelände. Die jetzigen Betreiber vom „Wohnzimmer“ haben den bisherigen Halteschnitt schon übertroffen, was hoffen lässt. Auch in der Nerostraße und Umgebung entwickelte sich nach langem Siechtum wieder eine Gemeinschaft an interessanten Läden, Cafés und Kneipen, nur mit Sicherheit niemals wieder in dieser Dichte wie zu Zeiten des Bermuda Dreiecks.

DAS BESTE AN FRANKFURT IST DER ZUG NACH WIESBADEN  

Obwohl nicht unmittelbar im Gebiet gelegen trug Frank Brabant mit seinem „Pussycat“ sehr zum Aufstieg der Partystadt Wiesbaden und Attraktivität des Bermuda Dreiecks bei. War es doch einer der wenigen Läden in der Nähe mit Nachtkonzession und Tanzmöglichkeit. Wenn um 2 Uhr nachts die Kneipen schlossen fanden sich viele Feierwillige, die noch wollten und konnten, entweder erst zum Essen im „Sir Winston Churchill“ in der Taunusstraße ein, oder gleich in Brabants Diskothek in der Adlerstraße, die er schon 1968 eröffnete. Frank Brabant wurde zu einer Größe des Wiesbadener Nachtlebens über die der heute 80-Jährige noch sehr gerne spricht. Seine Disko für Schwule und Lesben und Heteros wurde eine Erfolgsgeschichte und noch heute, rund zwei Jahrzehnte nach der endgültigen Schließung, ist das Pussycat eine Legende unter den Bars und Nachtclubs im Rhein-Main-Gebiet.

„Was das Nachtleben betraf, sagte man damals: Das Beste an Frankfurt ist der Zug nach Wiesbaden“, berichtet Brabant nicht ohne Stolz, denn er hatte wesentlichen Anteil an diesem längst vergangenen Ruf der Stadt. Es war die bunte Mischung von Milieus und Personen, durch die das Pussycat so anziehend wirkte: Von der Homosexuellen-Szene über Prostituierte bis hin zu den Mitarbeitern und Moderatoren des damals noch zu Teilen in Wiesbaden beheimateten ZDF – sie alle trafen an der Theke aufeinander, hinter der Brabant seine Gäste empfing. Wer spät nachts noch nicht nach Hause gehen wollte, der machte noch einen Abstecher in die Adlerstraße – und konnte hier mit etwas Glück sogar auf Stars wie Katja Ebstein, Udo Jürgens oder Sonja Ziemann treffen. Wiesbaden war im Rhein-Main-Gebiet die liberalste Stadt und das Bermuda Dreieck wurde ab den 1970er Jahren mehr und mehr ihr Epizentrum.

Nerostraßen-, Kranzplatzfest und viele Filmleute

1978, die Sanierung des Bergkirchengebietes schlug brutale Breschen auch in der Nerostraße, begann auch das Nerostraßenfest seinen eigenen Charme zu entfalten. Noch weitgehend durch Anwohner, manche Wirte, aber auch einige Filmleute des ZDF organisiert folgte drei Jahre später auch das Kranzplatzfest, dessen Bereich zugleich das Bermuda Dreieck im Südosten abgrenzt. In dieser eher „linken Zeit“, wollten einige „Revoluzzer“ den Kranzplatz mit künstlerischen Veranstaltungen städtischem Gestaltungseinerlei entreißen und widersprachen erstmals dem lokalpolitischen Ansinnen, den Platz um den Kochbrunnen in sterile und wohlgeordnete Rosenbeete zu verwandeln. Stattdessen sollte dort die Möglichkeit geschaffen werden, auch mal wild auf freiem Platz zu feiern und zusammenzukommen. Aus den ersten Jahren und eintägigen Festen hat sich das Kranzplatzfest als für viele Wiesbadener schönstes Fest der Innenstadt erhalten und stetig vergrößert und entwickelt. Es wird nach wie vor privat organisiert, damit Wiesbadener hier befreit von vielen Konventionen feiern und sich treffen können. Ein Überbleibsel aus der guten alten Zeit des Bermuda Dreiecks, die sich gegenseitig bedingten.

Noch bevor „Die Klappe“ – namentlich ein Tribut an die vielen Wiesbadener Filmschaffenden, die hier ein- und ausgingen – als Kneipe die Nerostraße Anfang der 1980er Jahre zusätzlich bereicherte, war der ZDF-Kameramann Werner Vollbrandt bereits im Geschehen involviert und engagiert. Er gilt als der eigentliche Vater des heutigen Kranzplatzfestes, hat er doch bis zu seinem Tod 2003 als hauptverantwortliche Einzelperson das nun mehrtägige Event seit 1981 organisiert, unterstützt von den Gastronomen aus dem Bermuda Dreieck und dem 2010 verstorbenen Michael Palme, ebenfalls ein ZDF-Mann. Nach dem Tod von Werner Vollbrandt wollte niemand mehr alleine in diese großen Fußstapfen treten: Die Werbegemeinschaft Kranzplatzfest organisierte sich als Verein und das Fest bis heute. In einem Gespräch mit Lothar Pohl von der Wiesbadener Kultband „Die Crackers“ erinnert sich dieser vor allem an die langjährigen Baustellen am Kranzplatz und die Anfänge des Festes. So benannte sich auch die Theatergruppe „Baustelle“ nach dem umgebenden Raum und organisierte eines der Feste der frühen Phase. In dieser Zeit startete nebenan auch das legendäre und ebenso gewollt unkommerzielle Nerostraßenfest, das fortan auf Anfang September verlegt wurde, um dem neuen und sich etablierenden Kranzplastfest nicht im Wege zu stehen. Hauptorganisator beim Nerostraßenfest waren zunächst eine Handvoll Anwohner und Filmschaffende, bis zu ihrem Tod auch Karl-Hermann Kortheuer und der Inhaber des Café Preussger. Heute hat Dale‘s Cake seinen Laden darin und Korteuers Feinkost- und Lebensmittelgeschäft neben dem Wirtshaus wurde zur beliebten Gaststätte mit großen Portionen bodenständiger Küche, die bis heute Karl-Hermanns Tochter Manuela, genannt Elchen, führt.

Insbesondere die „Filmclique“ aus hier lebenden ZDFlern trieb das lange Zeit mit den Anwohnern gefeierte Nerostraßenfest wie auch das Kranzplatzfest an. Gemeinsam mit anderen Kunstschaffenden und Gastronomen vereinnahmten die Fernsehleute diese Räume, um sie mit neuem Leben zu erfüllen. Das Nerostraßenfest verlor mit der Zeit seine Organisatoren, und ein Neustart vor 15 Jahren konnte es, auch aufgrund erhöhter Auflagen und großer Enge, nicht dauerhaft wiederbeleben. Das Kranzplatzfest dagegen behielt seine Möglichkeiten und Macher, und fand die genannten neuen. Zu denen auch das „Karims“ an den Quellen zählt. Lange Zeit war das Karims mit seinem Restaurant selbst an den Kochbrunnenkolonnaden zur Saalgasse hin angesiedelt, neben dem alten „Les Arcades“, zur Blütezeit der Nerostraße. Am unteren Ende der früheren Hospitalstraße wurde aus den Brunnenkolonnaden später das „Spital“, das 2016 von der neu in Wiesbaden eingezogenen Systemgastronomiekette „Café del Sol“ gekauft und übernommen wurde.

Bermudadreieck – abgesoffen

Allein die Nerostraße hatte in den 70er Jahren noch rund zehn Kneipen. „Jonny“ wachte mit seinem Kiosk und Argusaugen über die Nerostraße und darüber, wer da zu laut mit wem noch etwas trinkt nach ein Uhr. Eine freiwillige Selbstkontrolle der Vernunft. Schräg gegenüber von Jonny, der vor seinem Kiosk bis 1980 in der späteren Klappe selbst eine kleine Kneipe führte, „outeten“ sich vor gut 30 Jahren auch andere schwule Gastonomen als solche, ohne das es einen sonderlich interessierte. Das legendäre „Spitzweg“, mit Billard, langer Theke und Seidentapeten war einfach urgemütlich und hatte die besten Calamaris in Knobisauce und auch sonst gute Küche zu bieten. Die Nachfolger in diesem Lokal konnten alle nicht daran anschließen. Schon der erste beging den Kardinalfehler, das Spitzweg um 1990 komplett umzubauen. Der gesamte Charme war dahin und alte Spitzweggäste blieben fort – heute ist es eine Shisha-Bar.

Wenige Jahre zuvor ging man noch ins E. G. (Elftes Gebot), ins Parsival, das Westpol oder die Zwiebel in der Taunusstraße; und wenn die letzte Kneipe zumachte, wusste man: Im Sir Winston Churchill von Karl-Heinz Schubert gibt es noch bis mindestens vier Uhr etwas Warmes zu essen – und den letzten Absacker. Zu Beginn der 1980er Jahre machte ein früherer Kellner aus dem Jazz-House seine eigene Kneipe an der Taunusstraße auf, während das „Wirtshaus“ für gut 20 Jahre den Standort in der Nerostraße übernahm. Zuletzt wurde mit dem „Gestüt Renz“ das Pferd dort leider totgeritten. Wer auch immer hier die Schuld tragen mag, dass diese Institution einer Eckkneipe zumindest als Tanz-Location schließen musste – die Zeiten dort haben sich offenbar endgültig geändert. Im alten Bermudadreieck kann man zwar noch in der späten Nacht an einigen Orten entspannt „chillen“, aber feiern „uff de Gass“ bis in den frühen Morgen, das ist lange vorbei. Außer am Kranzplatzfest. Paradoxerweise war ausgerechnet der Hausbesitzer und frühere Wirt der Klappe beteiligt an der erfolgreichen Klage gegen das „Gestüt Renz“ und trug dazu bei, einen legendären Teil des Wiesbadener Nachtlebens zu Grabe zu tragen. Die Klappe selbst wurde bereits Jahre zuvor zum ruhigen Fahrradhandel umgewidmet und aus den Räumen des Nachfolgers im alten Jazz-House/Wirtshaus/Gestüt Renz – dem „Walhalla im Exil“ – dürfen nur noch leise Töne dringen.

Legendäre Wirte und Unikate

Das Café Kränzchen, Bebop, Rheingold und andere Gastronomien von Kranzplatz, Saalgasse und Taunusstraße waren seit den Hochzeiten des Bermuda Dreiecks mehr oder weniger lange Zeit auch beim Kranzplatzfest dabei – oder sind es irgendwie immer noch. Aus dem „Café Kränzchen“ von Lothar Reintgen, das er 1977 nach dem „Rocky“ aufmachte, wurde ab 1988 das „Le Monde“, während Reintgen nun das „Dailys“ in der Goldgasse und das „Café Europa“ betrieb.

Im Kontext der Anzeige ist auch Harald Pfaff zu erwähnen, der als junger Mann eine Aral-Tankstelle führte und selbst regelmäßiger Gast im Bermuda Dreieck war. Viele Kneipengänger kamen auch zu ihm zum Tanken in die Mainzer Straße und er wechselte wenig später in die Gastronomie. Harald Pfaff übernahm den „Kleinen König“ und betrieb die „Wilhelmstube“. Mit seiner Frau Irmgard von Kayser hat er nun vor mehr als zehn Jahren das „Ludwig“ in der Waagemannstraße übernommen und ist immer noch aktiv.

Genauso wie der dienstälteste Wiesbadener Gastronom Bruno Henrich, der seine eigenen Geschichten zur Taunusstraße erzählen kann, mit dem I-Punkt einen legendären Grundstein legte und viele Jahrzehnte später mit seiner Frau Nathalie die alten Räume des Parzifal übernahm – und als Weihenstephaner bis heute erfolgreich führt.

Auch Gabriela Reim, die mit ihren damaligen Partnern neben dem Hoppenstedt´s in der Nerostraße auch das Mauerblümchen in der Mauergasse und eine zeitlang das Rainbow in der Neugasse bewirtete, erinnert sich noch gerne an diese Zeit. Von 1984 bis 1990 konnte man im früheren Hotel Quellenhof bei Hoppenstedt´s in der Speisekarte auch einen „Toast Bermuda Dreieck“ finden. Das Gebäude wurde wenige Jahre später abgerissen, das Grundstück war lange Zeit brachliegend, als geplante Passage zur Taunusstraße. Schlussendlich füllt erst seit einigen Jahren ein grau verklinkertes Wohnhaus die Baulücke. Ein weiterer alter Kneipenstandort der Nerostraße war endgültig passé.

 

Diese Zeit ab Anfang der 1990er Jahre mag exemplarisch stehen für die Zeit des Niedergangs des Bermudadreiecks und der Kneipenfülle in der Nerostraße. Paradoxerweise mag auch das Ende der Sperrstunde das Ende des Nachtlebens eingeleitet, und die Anfangs strengen Nichtrauchergesetze ihm den Rest gegeben haben. Denn die feierwilligen Leute, nach der Wiedervereinigung bereits geschmälert um abziehende US-Truppen, haben sich auf mehr Orte verteilt und für viele Wirte lohnte es sich nicht mehr.

Das zeigte sich auch in der Altstadt, in der legendäre Kneipen verschwanden.
Als es das Caspari noch gab und im „Big Ben“ hinter der Marktkirche zum letzten Drink geläutet wurde, konnte es ab den 1980er Jahren gut sein, das man auf „Die Callas“ traf, alias Günther Brühl, der als passionierter Tenor durch Wiesbadens nächtliche Kneipenszene tingelte und mit flotten Sprüchen in seiner Travestierolle als Opernsängerin und Diva aufging. Bis heute singt er noch gelegentlich spontan im Eimer oder auf dem Weinfest ein Liedchen, leider aber nicht mehr als „Callas“ in vollem Ornat. Der Bierstadter Günther Brühl wird mit Erscheinen dieses Buchs 75 Jahre alt und ist ganz sicher eines der Unikate jener Zeit des Bermudadreiecks, obwohl sein Kiez eher die Altstadt war.

Dort wie vor allem im Bermuda Dreieck hatte sich die Szene über die Jahre verändert und funktionierte nicht mehr so locker flockig wie früher, erzählen Insider – und nach fast 90 Jahren Bestehen als Gaststätte fand zuletzt auch das „Rheingold“ keinen Nachfolger mehr. Sein Betreiber, der kürzliche verstorbene Guido Back, war ebenso ein Urgestein früher Stunde. Hier, im Rheingold, von jeher auch Künstlertreff, verkaufte auch Horst Bröker, Jonnys Bruder, bis zu seiner Pflegebedürftigkeit Ende der 1990er Jahre wohl die meisten seiner handbemahlten Bierdeckel, die seine Welt zeigten.

Horst Bröker, der 2003 verstarb, war wie sein Bruder Jonny das wohl bekannteste „Unikat“ des Bermuda Dreiecks und in vielen Schubladen finden sich wohl noch seine kleinen Kunstwerke, die in nahezu allen hier genannten Lokalen erworben werden konnten. Horst verkaufte sie für ein paar Mark bei seinen Streifzügen durch die Kneipen und für viele Wiesbadener erlangten die Deckel durchaus Kultstatus. Wie in mancher plötzlich geschlossenen Kneipe wohl einige Deckel offen geblieben sind. Das Bermuda Dreieck und insbesondere die Nerostraße war der Kiez von Horst und Jonny Bröker. Und das Wohnzimmer vieler Wiesbadener. Diese besondere Epoche des Nachtlebens ist jedoch unwiederbringlich vorbei. Doch für uns, die wir diese Zeiten teils selbst begleiten und im Bermuda Dreieck verschollen gehen durften, bleiben viele schöne Erinnerungen.

Am 16. Februar 2019 erinnern wir mit DJ Mojo (alias Wolfgang Kerl) und einer „Bermuda Dreieck Revival Party“ im Kulturpalast an diese geile Zeit mit Musik der 1970er und 1980er.

Beginn 22 Uhr, Eintritt 7 Euro