Wiesbadens Mühlen

Romantik poor: Wiesbadens Mühlen

Müller ist noch heute der mit Abstand am weitesten verbreitete Name in Deutschland. Ein Name, der Berufung war über viele Jahrhunderte, eigentlich zwei Jahrtausende. Aus traditionsreichen, alten Handwerksbetrieben wurden heute Industriebetriebe. Wie kam es dazu und wie entwickelte es sich in Wiesbaden? Trugen die Mühlen Eigennamen oder waren diese eher Programm? Erhalten ist nur noch wenig.

Allein an der Mainzer Straße entlang des Salzbachtals gab es einst sieben Wassermühlen. Bis 1850 hieß die Mainzer Straße aus diesem Grunde noch Mühlweg. Nur der Spelzmühlweg hinter der Eisenbahnbrücke am Wiesbadener Tierheim erinnert heute noch an die Spelzmühle. Die ursprünglich zu einem Krankenhaus gehörende und so benannte frühere „Spitalsmühle“ wurde längst durch die Klärwerke überbaut. Weiter unten im Salzbachtal existiert zumindest noch die Hammermühle. An Stelle der Kupfermühle weiter stromaufwärts thront nun Auto Rossel, oberhalb der vor fast 500 Jahren angelegten und längst abgerissenen Kupferschmiede mit Wasserkraftantrieb.

Die Pletzmühle am heutigen Warmen Damm war eine der ältesten der Kernstadt und für das gesamte damalige Bierstadt zuständig. Um 1860 musste sie den Planungen der Kuranlagen weichen. Die Armenruhmühle, erst Ende der 1960er Jahre abgerissen, lag direkt an der Mainzer Straße. Diese älteste Biebricher Mühle war bis 1900 in Betrieb. Schon 1298 wurde der Name urkundlich erwähnt. An einer wichtigen Straße gelegen, hatte sie unter vielen vorbeiziehenden Armeen zu leiden.

Von all diesen und noch viel mehr im heutigen Stadtgebiet liegenden Mühlen ist nichts mehr übriggeblieben. Höchstens Straßennamen oder Haltestellen erinnern noch daran, wie die der „Kahle Mühle“ bei Dotzheim. Die wenigen noch sichtbaren Mühlen Wiesbadens haben heute meist eine gastronomische Nutzung oder wurden zu Wohnzwecken hergerichtet. Ein Mühlrad besitzt keine mehr.

Historische Mühlentechnik

Wind- oder Wassermühlen repräsentieren die wohl erste vorindustrielle Technologie, die menschliche Arbeitskraft weitgehend ersetzen, zumindest deutlich potenzieren konnte. Mussten sich bis in die Jungsteinzeit vor allem die Frauen noch mit der klassischen Reibemühle Stein auf Stein von Hand bemühen und konnten so höchstens wenige Liter Feinmehl pro Tag herstellen, wurden mit Schwenkmühlen und Handdrehmühlen vier bis fünf Jahrhunderte vor Christus, zur griechischen Hochkultur und der Eisenzeit, deutlich effektivere Techniken erfunden.

„Moderne“ Handdrehmühlen dieser Zeit wiesen bereits Einfülltrichter für Getreide auf. Sie setzten den althergebrachten linearen Reibvorgang (nur vor und zurück) in eine Kreisbewegung um. Hier konnten, nachgebaut in größerem Maßstab, bereits Tiere eingesetzt werden. Meist wurden Esel, Pferde oder Ochsen einem Drehhebel vorgespannt und ermöglichten so mit deutlich mehr Kraft versehen ein Stück Hochkultur. Erste Übersetzungsgetriebe entstanden mit Welle und Lager.

Wasser auf die ersten Mühlen

Im Kleinen wie im Großen entstanden mit diesen Stein- beziehungsweise Zylindermühlen sowohl solche für den täglichen Bedarf, mobile, die man mitführen konnte – im Gegensatz zu Mehl war Getreide länger haltbar und auch bei unwirtlicher Witterung leichter zu transportieren – als auch stationäre, die vor allem im technikverliebten Alten Rom zum Einsatz kamen. Die Römer waren es auch, die sich im fruchtbaren und wasserreichen Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (Mesopotamien, heute das Grenzgebiet zwischen Irak, Iran, Syrien und der Türkei) die Wasserschöpfräder abschauten, die zunächst die ureigene Antriebsenergie von Fließgewässern zur Bewässerung von Feldern nutzten.

Das zehnte Buch der Dokumentationen des römischen Heeresbaumeisters Vitruv „De architectura libri decem“ um 22 vor Christus war dem Maschinenbau gewidmet. Der Mechanismus einer Wassermühle wird darin genau beschrieben. Spätestens um Christi Geburt und mit der Ausbreitung des Römischen Reichs traten die Wassermühlen ihren Siegeszug durch Vorderasien und Europa an. In der Schweiz konnten Reste einer Wassermühle aus dem ersten Jahrhundert nach Christus nachgewiesen werden.

Mahlen, pressen, sägen, hämmern

Mit Wasserkraft angetriebene Mühlen konnten bald mehr als nur Mahlgut zerkleinern. Sie wurden zum Stoßen und Stampfen, zum Hämmern, Sägen und zum Schleifen genutzt. Ölmühlen konnten aus Samen Öl pressen, Stein- oder Schleifmühlen konnten aus vorbehauenem Rohmaterial Kugeln für Kanonen, aber auch Murmeln für Kinder oder Schmuck aus Halbedelsteinen schleifen, andere konnten Marmor schneiden.
Die Wassermühle ist die erste bekannte Maschine, bei der eine Drehbewegung mithilfe von Kurbelwelle und Pleuelstange auch in eine lineare Bewegung umgesetzt wurde und somit auch Schneidwerkzeug aller Art antreiben konnte. Allen voran Sägemühlen, die nur an Bächen und Flüssen ausreichender Wasserkraft zu finden waren. Frühe Zahnradtechniken mit ineinandergreifenden Zinken aus Holz machten nahezu jede Umlenkung und Antriebsart möglich.

So gingen daraus neben mahlenden oder zerkleinernden Getreide-, Papier- und Gipsmühlen auch Hammerschmieden oder Sägemühlen sowie eher pressende Öl- oder Walkmühlen hervor. Letztere klopften Tuchgewebe weich, sie „walkten“ es, bis sich der Stoff verdichtete und verfilzte, er wurde reißfester und wasserabweisender. Die Walkmühle im Walkmühltal wird gerade saniert und verdient neben der Grorother Mühle einen eigenen Beitrag innerhalb dieser Ausgabe.

Wiesbadens Mühlen – Überreste

Das wasserreiche „Wisibada“, das Bad in den Wiesen, hatte zahlreiche aus dem Taunus gespeiste Bäche, die den Betrieb von Mühlen wirtschaftlich machten. In den Tälern und da, wo die Bäche zusammenflossen, reihten sich Mühlen noch vor 200 Jahren dicht aneinander.
Wir beginnen im Nordwesten der Stadt. Einer der ältesten Mühlenstandorte ging aus dem im Wellritztal gelegenen Kloster Klarenthal hervor, das 1296 von König Adolf von Nassau gestiftet worden war. Nach Errichtung des Klosters folgte einige hundert Meter stromabwärts die eigene Klostermühle. Goethe war hier 1815 zu Gast. Die Müllerstochter Katharina erinnerte ihn an die Dorothea aus seinem Epos „Hermann und Dorothea“. Die Klostermühle ist vom Standort her die wohl älteste noch erhaltene Mühle Wiesbadens, wenngleich kaum noch original. Nur der Wellritzbach fließt noch immer direkt am alten Mühlengebäude vorbei. Wie viele andere wurde es mehr als einmal niedergebrannt. Die Nassauischen Herrscher wussten, was sie taten, als sie die Mühle weitab vom Kloster ansiedelten und zugleich unterirdische Gänge anlegten: denn Mühlen waren bei kriegerischen Auseinandersetzungen oft die ersten Ziele – leicht einzunehmen und Nahrung versprechend.

„Den Bach runtergegangen“

Mühlen waren oft mit Sonderrechten, aber auch Pflichten ausgestattet. Bürger konnten sich nur bedingt aussuchen, bei welchem Müller sie gegen Entgelt oder durch Zahlung in Naturalien ihr Getreide zu Mehl mahlen ließen. Mühlenpächter erwarben meist vererbbare Wasserrechte, mussten dafür aber wie jeder Bauer an den Grundbesitzer Abgaben leisten.

Versetzen wir uns in frühere Zeiten. Raubritter und Stammesfürsten kämpften kontinuierlich um die Vorherrschaft, um Land und Gut. Zu jedem Dorf, Kloster oder jeder Festung gehörte wenigstens eine Mühle. Wiesbaden als Stadt in der heutigen Ausdehnung gab es nicht. Den Höhepunkt erreichten gegenseitige Missgunst, Tod und Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg. Wiesbadens Bevölkerung schrumpfte bis zu dessen Ende 1648 um mehr als Vierfünftel von zuvor rund 1.000 auf etwa 200 Einwohner.

In diesen vergangenen Epochen war so mancher Müller durch Feuer, ausbleibende Kundschaft, durch Misswirtschaft, Dürre oder fehlendes Wasser „die Bach drunten“, er war pleite gegangen.

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