Kur(ch)eck: Abbruchgenehmigung erteilt

Kur(ch)eck
von Mario Bohrmann 

Am 18. Juni wurde in den Hinterhof des ehemaligen Restaurants Mövenpick geladen, um den Startschuss für die Neubebauung zu feiern. Kein Spatenstich, zunächst liegen nur erste Abrissverfügungen vor. Im Rahmen gültiger Bebauungspläne kann jedoch an der Sonnenberger Straße 2 und 2 a direkt losgelegt werden. Auch die Sanierung und Aufstockung des Geschäftshauses Taunusstraße 3 ist bereits genehmigt. Erst einen Tag zuvor war ein Durchführungsvertrag zwischen dem Projektentwickler IFM Immobilien AG und der Stadt unterzeichnet worden, der auch siebenstellige Ausgleichszahlungen zur Beteiligung an sozialer Infrastruktur enthalten soll sowie weitgehende Fertigstellungsgarantien für die vom Bauherr gewünschte Wohnbebauung mit Hochhaus und Wohnvillen am Adolfsberg.

Bereits im Winter haben wir über die geplante Neubebauung berichtet. Nach jahrelangem Leerstand und Siechtum der ehemaligen R+V Verwaltungsgebäude und des Hochhauses und häufiger Umplanungen des Investors wurden seitdem mit Hochdruck die neuen Pläne vorangetrieben, deutlich höhere Wohnnutzung zu erlauben und statt überwiegender Büro- und Gewerbeflächen neue Wohnvillen zwischen Adolfsberg und Cansteinberg zu errichten. Auf mehr als der Hälfte der Bruttogeschossfläche von insgesamt 41.000 Quadratmetern im Planungsbereich „Kureck-Cansteinberg“ sollen künftig Menschen leben. Nicht nur arbeiten. Freilich werden die rund 100 Wohnungen, die hier in Bestlage entstehen, alles andere als Sozialwohnungen sein. Der Investor ist kein soziales Wohnungsbauunternehmen, sondern Projektentwickler und will Geld verdienen.

Vor acht Jahren kaufte die IFM das Areal mit rund 23.000 Quadratmetern Fläche für rund 30 Millionen Euro. Diese Zahl ist nie offiziell bestätigt, aber auch nicht bestritten worden. Totes Kapital, solange auf dem Gelände nichts Vermarktbares entsteht und kaum Vermietbares so lange leer steht und – teils von Vandalismus gezeichnet – vor sich hingammelt; denn bereits 2010 war die R+V Versicherung auch aus dem Hochhaus komplett ausgezogen. Ein „städtebaulicher Rahmenplan Kureck“ legte 2009 fest, was wichtig, was nützlich und was wünschenswert wäre zwischen Paulinenhang, Schöner Aussicht und Geisbergstraße. Als „Quartier Paulinenhang“ bezeichnet, sollen vor allem neue Wegebeziehungen innerhalb und außerhalb des Quartiers geschaffen und aufgewertet werden, auch fußläufige Verbindungen zum Paulinenpark. Für das R+V Gelände ging man noch von einer Ertüchtigung des Hochhauses aus, ein gewünschtes Szenario war auch der Abriss und ein an die Umgebung angepasster Neubau. Doch was städtebaulich wünschenswert ist, muss der Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Rechte und Möglichkeiten nicht unbedingt erfüllen. Der ursprüngliche Bebauungsplan „Kureck“ von 1967 war seinerzeit maßgeschneidert auf die Wünsche der R+V Versicherung, einschließlich Hochhaus an dieser Stelle. Auf dieses vielgeschossige Baurecht konnte auch die IFM als neuer Eigentümer bestehen. Der alte Bebauungsplan sah dies ja vor und war grundsätzlich weiterhin gültig. Die Stadt hätte, mit etwas mehr Mut und Rückgrat, zwar darauf bestehen können, einen Neubau in dieser Höhe an diesem Ort nicht mehr zu genehmigen, aber sie hätte dann mit Schadenersatzklagen zu rechnen, da dies als „Verhinderungsplanung“ hätte ausgelegt werden können – selbst wenn viele Aspekte, insbesondere denkmalpflegerische und die Bewerbung zum Weltkulturerbe, eine maßvollere Bebauung angezeigt hätten. Im Rahmen der Verhandlungen und Planungen ging es zunächst um Vitalisierung, also Entkernung und Sanierung des R+V Hochhauses. Dann nahm man davon wieder Abstand und brachte einen Neubau ins Spiel, der nun vor allem Wohnnutzung vorsieht. Zunächst noch mit niedrigerer Bebauung geplant, stellte Max Dudler, der als Architekt von Anfang an für die Neubebauung des Kernstücks an der Taunusstraße und Sonnenberger Straße verantwortlich zeichnet, mehrfach seine Entwürfe und schließlich seinen „Campanile“ vor.

Quartier Kureck

Der 2013 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene vorhabenbezogene Bebauungsplan Wiesbaden 2013/02 „Kureck-Cansteinberg“ war damit in Teilen Makulatur, denn eine Wohnnutzung der nun angestrebten Größenordnung wäre weder im neuen Hochhaus noch am Paulinenhang möglich gewesen. Die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes Sonnenberger Straße 2 und ein Neubau des Anbaus zur Prinzessin-Elisabeth-Straße hin waren noch im Rahmen des geltenden Plans genehmigungsfähig, ebenso die Sanierung an der Taunusstraße 3. Dieser erste Bauabschnitt ist bereits weitgehend genehmigt, weshalb die Abbrucharbeiten schon beginnen konnten. Bis November möchte die IFM an Taunusstraße und Sonnenberger Straße damit fertig sein. Die Hochbauarbeiten sollen dann spätestens im Herbst beginnen.

Startschuss Mietvertrag Sozialministerium

Ende 2014 unterzeichnete die IFM mit dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration einen Mietvertrag auf 20 Jahre für das ehemalige Mövenpick-Gebäude an der Sonnenberger Straße. Vor allem der straßenseitige Teil steht unter Denkmalschutz und wird kernsaniert, die auffällige Uhr läuft seit Baubeginn wieder. Der rückwärtige Anbau wird teils abgebrochen und neu gebaut. Hier werden Tiefgaragen und neue Zufahrten von der Prinzessin-Elisabeth-Straße sowie Sonnenberger Straße angelegt. Eine Finanzierungszusage über 58 Millionen Euro durch die Deutsche Pfandbriefbank von Ende Mai sowie Eigenkapital der IFM sollen diesen ersten Bauabschnitt absichern, denn bereits Anfang 2017 soll das Ministerium einziehen.

Städtebauliche Verträge zur Absicherung

Wenn es nach der IFM geht, wird auch mit dem Abriss des Hochhauses spätestens im Herbst begonnen. Auch die Taunusstraße 1b und die Parkhausspindel werden abgebrochen und sollen aufgelockerter, wie auf den Plänen zu sehen, neu gebaut werden. Dabei sollen vor allem von der Wilhelmstraße aus neue Blickbeziehungen zum Adolfsberg möglich werden, weniger Beton und mehr Grün sollen schließlich zu sehen sein, von der Rue und auch innerhalb des neuen „Quartiers Kureck“, für das noch Baurecht geschaffen werden muss. Denn nicht nur das Hochhaus, das oberhalb der dritten Etage Wohnnutzung vorbehalten bleiben soll, sondern auch die zehn Stadtvillen dahinter, von unterschiedlichen Architekturbüros geplant, sind nicht innerhalb des geltenden Bebauungsplans „Kureck-Cansteinsberg“ umzusetzen. Daher erfolgt eine sogenannte Überplanung mit einem wiederum vorhabenbezogenen Bebauungsplanentwurf „Quartier Kureck“. Vermutlich noch im Juli soll der neue Bebauungsplan im Stadtparlament beschlossen, dann offengelegt werden. Erst nach Rechtsverbindlichkeit können alle weiteren Bauabschnitte angegangen werden. Die Fertigstellung des neuen Hochhauses ist Ende 2018 geplant. Die Fertigstellung der restlichen Bebauung dahinter 2020.

Wer ist die IFM?

Vorhabenbezogen heißt in solchen Fällen immer eine Abwägung der Interessen. Die der Stadt sind an solch einer städtebaulich sensiblen Stelle neben einer angemessenen Bebauung vor allem die Fertigstellung in einem bestimmten Zeitraum. Dazu werden Garantien erwartet, die auch mit finanziellen Mitteln unterlegt werden müssen.Lange wurden von Seiten der Politik und Experten Zweifel daran gehegt, ob der Investor das Gebiet tatsächlich entwickeln, also auch selbst bebauen, oder nur ein aufgehübschtes Planungsrecht in Häppchen an Bauträger weiterverkaufen will. Wenngleich der Projektentwickler IFM in der Vergangenheit große Projekte erfolgreich revitalisieren und vermarkten konnte, so das alte Doppelhochhaus „Romeo und Julia“ und die Zeil-Galerie in Frankfurt, herrschte doch zeitweise Unklarheit über seine Absichten. Denn von den meisten im Bestand gehaltenen Objekten trennte sich die IFM zuletzt. Auch das Börsensegment wechselte die IFM mehrfach im Laufe des letzten Jahres. Aus dem „Prime Standard“ über den „General Standard“ in den sogenannten „Entry Standard“ binnen eines Monats. Somit nicht mehr im geregelten Markt geführt, der strengere Veröffentlichungspflichten auferlegt. Die IFM begründete diesen Schritt mit Kostensenkungspotenzialen. Anfang Mai diesen Jahres gibt die IFM die Ãœbernahme von über 93 Prozent ihrer Anteile durch die THF AS aus Oslo/Norwegen bekannt. Als Eigentümer werden wahlweise norwegische Pensionsfonds oder reiche Familien genannt. Genaueres erfährt man nicht. Jedoch scheinen die neuen Eigentümer der IFM finanzstark zu sein, denn wenig später wurde die Finanzierungszusage für den ersten Bauabschnitt bekannt gegeben, und auch die Stadt bekam – zumindest äußert sie sich sehr positiv überzeugt vom Durchführungsvertrag – am 17. Juni 2015, was sie wollte. Weitere Einzelbürgschaften für die Bauabschnitte zwei und drei sollen den Hochhausneubau und die Fertigstellung der Stadtvillen dahinter sicherstellen. Wenn alles glatt läuft, wird das neue Quartier Kureck im Jahr 2020 fertig gestellt sein. Das Gesamtvolumen des Projekts wird auf 150 bis 200 Millionen Euro geschätzt.

Schlag auf Schlag – Die Planungen

Im letzten halben Jahr gingen dann auch die Planungen mit der Stadt sehr schnell voran, Oberbürgermeister Sven Gerich machte sie zur Chefsache und die Verwaltung war angehalten, zügig voranzukommen. Anfang Februar stellten Investor, Architekten und die beauftragten Planer, unter anderem das Büro für Stadt- und Umweltplanung „Stadt Quartier“, im Ausschuss für Bauen, Planen und Verkehr ihr Gesamtkonzept vor. Wenig später dann auch vor dem Gestaltungsbeirat und schließlich Ende April öffentlich im großen Saal der IHK, der nicht annähernd alle interessierten Zuhörer fassen konnte. Grünflächen und Wegebeziehungen wurden erläutert, denn das schlanke Hochhaus wird freigestellt. Ob man es wirklich – wie sein Architekt Max Dudler – „grazilen Campanile“ (Campanile bezeichnet eigentlich einen Glockenturm und umschreibt freistehende, schlanke, hohe Türme) nennen kann, sei dahingestellt. Das Hochhaus erhält nicht nur an seiner linken Flanke einen breiten Aufgang, der den Blick zum Adolfsberg freigibt, auch an seiner rechten Seite, wie bislang, soll der Cansteinberg erschlossen bleiben und der Weg zur Schönen Aussicht über die Prinzessin-Elisabeth-Straße führen. In diesem Bereich sollen zwei neue Tiefgaragenzufahrten die Neubauten erschließen. Der Vorplatz zum Hochhaus und die Wege dahinter sollen öffentlicher Raum werden. In den Erdgeschossen der Taunusstraße sollen vor allem Gastronomie und Einzelhandel einziehen und den Platz beleben. In den Etagen darüber sollen Dienstleistungen, Büros und Praxisräume dominieren. Im Hochhaus dienen die oberen 16 Etagen Wohnzwecken. Die dahinter liegenden Stadtvillen stellen ebenfalls ausschließlich Wohnraum zur Verfügung, teils maßgeschneidert nach den Wünschen der Käufer. Die insgesamt zehn Wohnvillen, zwei davon stehen unter Denkmalschutz und werden aufwendig saniert, sollen meist nur drei bis vier Wohneinheiten umfassen.

Erwartungen und Hoffnungen

Bevor er sich mit dem IFM-Vorstandsvorsitzenden Volker de Boer mit dem Abrissbagger versuchte, sprach Oberbürgermeister Sven Gerich bei seiner Rede zur Freigabe des Vorhabens von ausgesprochen harter Arbeit, da viele Knoten zu lösen waren. Er habe seit zwei Jahren an das Projekt geglaubt und sei sicher, dass dieses Gebiet „wieder die erste Geige im Kureck spielen wird.“ Zumal mit dem Einzug des Sozialministeriums in unmittelbarer Nähe zur Staatskanzlei auch ein kleines Regierungsviertel entstehe. „Die Attraktivität des Kurecks ist gesichert. Es geht los.“ 100 Premiumwohnungen verspricht die IFM. Wo die Premiumpreise dafür angesiedelt sein werden, darüber wird nur spekuliert. Denn eines scheint klar: Die IFM wird, außer als mittelfristiger Vermieter des Sozialministeriums, die Gebäude nicht im Eigentum behalten, sondern als Eigentumswohnungen vermarkten. Das neue Quartier Kureck wird letztlich aus einer Vielzahl von Eigentümergemeinschaften bestehen. Deren Zusammensetzung und die gastronomische und gewerbliche Nutzung am Fuße des Hochhauses werden darüber entscheiden, wie das Gelände innerhalb dieses neuen Wohngebiets am Adolfsberg belebt wird. Die IFM AG verspricht regelmäßige Informationen an die Anwohner und die interessierte Öffentlichkeit weit über das geforderte Maß hinaus. Bei der öffentlichen Projektvorstellung Ende April gestand sie zudem ein, die Nerven der Stadt arg strapaziert zu haben. Eine Flucht nach vorn, wie man auch an umseitigem offenen Brief sehen kann. Gleichwohl werden noch rund 15.000 Seiten Antragsunterlagen für alle Bauten erwartet. Die Planungsbüros aus dem Rhein-Main-Gebiet sehen das Projekt als Aushängeschild mit entsprechend eigenem Anspruch um einen Platz zum wohnen, arbeiten und flanieren zu schaffen, so die Vertreter der IFM. Man wird sehen.

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