Die Wagner-Villa

WAGNERS BEGEGNUNGEN IN BIEBRICH

Wir schreiben das Jahr 1814. Johann Wolfgang von Goethe hat gerade im Schloss zu Biebrich seinen 65. Geburtstag gefeiert. Rund um das Schloss waren zu dieser Zeit in erster Linie verschiedene NutzgĂ€rten angelegt. Auch die gesamte Rettbergsau wurde durch einen großen Bauernhof bewirtschaftet, zur Versorgung des herzoglichen Haushaltes. 50 Jahre spĂ€ter ist die untere Spitze zur Rheingaustraße, die auf die heutige Promenade entlang des Rheins, den damaligen Leinpfad, stĂ¶ĂŸt, erstmals bebaut; mit der Villa Annica, die spĂ€ter als Wagner-Villa bekannt wurde.

Das Landhaus – im 19. Jahrhundert der Ausdruck fĂŒr eine Villa mit großem GrundstĂŒck – hat eine hervorgehobene Hanglage und gehörte einem Architekten. Richard Wagner mietete dort 1862 fĂŒr ein Jahr eine Wohnung, um in der NĂ€he seines Mainzer Verlegers sein zu können. Vor allem da er in Geldnöten war und von diesem weiteren Vorschuss auf seine Meistersinger erhoffte.

In Wagners Wohnung gingen viele Musiker ein und aus. Seine Begegnungen in Biebrich brachten Wagner letztlich auch mit seiner spĂ€teren Frau Cosima, Franz Liszts Tochter, zusammen. Eine bemerkenswerte Beziehung: Cosima hatte in ihrer ersten Ehe nie so aufblĂŒhen können, wie spĂ€ter gemeinsam mit Wagner in Bayreuth.

Es war die Zeit, da das erstarkte Preußen bald Nassau annektieren sollte und Richard Wagner, mit einem sehr ausschweifenden Lebensstil, zwar schon als Komponist entdeckt war, aber noch nicht erfolgreich und weit entfernt von seiner spĂ€teren BerĂŒhmtheit. Wagner hatte sich gerade von seiner Frau Minna getrennt, die er ohnehin fleißig betrogen hatte, und war in jener Zeit in Biebrich, nur von Februar bis Oktober 1862 lebte er tatsĂ€chlich hier, nahezu mittellos. Er schnorrte sich regelrecht durch in edlen Familien aus den FĂŒrstenhĂ€usern und bat mehrfach seinen Musikverleger Schott aus Mainz um Vorschuss. So war er ĂŒberhaupt nach Biebrich gekommen, lĂ€ngst ins Hintertreffen geraten, was die Lieferung seiner „Meistersinger“ anging. Von denen er auch nur einen Teil in Biebrich schrieb.

Das Heckelphon fĂŒr Richard Wagner

Wagner besuchte auch die bis heute in Familienbetrieb befindliche Musikinstrumentenmanufaktur Heckel in Biebrich. Ihr GrĂŒnder Johann Adam Heckel arbeitete beim Musikinstrumentenbauer Schott in Mainz, bevor er sich 1839 in Biebrich mit eigener Manufaktur selbststĂ€ndig machte, die bis heute fĂŒr ihre Holzblasinstrumente Weltruf genießt. Heckel wurde 1845 zum herzoglich-nassauischen Hofinstrumentenmacher ernannt und so war es kein Wunder, dass sie sich kennenlernten. Wagner hatte eine wohl ungeheure Vorstellungskraft, denn es genĂŒgte ihm nicht, fast unspielbare Kompositionen zu fertigen. Wenn er einen Ton nicht fand, den er im Kopf hatte, dann erfand er eben das Instrument dazu gleich mit. Er war mehrfach in der Musikinstrumentenfabrik in Biebrich zu Gast, verletzte sich einmal am Finger, als er sich an der Drehbank versuchte, und tauschte sich mit Heckel aus. Eine Oboe mĂŒsse doch so zu konstruieren sein, das sie eine Oktave tiefer klingen kann. Die Idee war im Raum, Wagner, den die Biebricher „der nĂ€rrische Musikant“ nannten, erlebte die Umsetzung durch Wilhelm Heckel und seine Söhne nicht mehr. Doch die nun „Heckelphon“ genannte, tief klingende Bassettoboe wurde zur Jahrhundertwende umgesetzt. Auch als Klarinette in wahrhaft gigantischen Ausmaßen. Im Heimatmuseum Biebrich sind einige davon zu bestaunen. Interessante Rand–Anekdote: Richard Strauss besuchte ebenfalls die Firma Heckel, fast 50 Jahre nach Wagner. Als er bei seiner RĂŒckfahrt auf Höhe der Villa Annica darauf aufmerksam gemacht wurde, das hier Richard Wagner gelebt und an seinen Meistersingern geschrieben hatte, ließ Strauss den Fahrer anhalten, stieg aus und zog seinen Hut.

Chronisch klamm

Wagner war ein hochkreatives Genie, das seine eigenen Impulse nicht immer unter Kontrolle hatte, womit er gerade in Wiesbaden nicht wirklich alleine war, wenn wir alleine an Dostojewski denken, der seinen Verleger–Vorschuss in der Spielbank verzockte, und danach darĂŒber „Der Spieler“ schrieb, wĂ€hrend Wagner zuvor das Gleiche auf musikalischeArt tat. Er blieb seine Meistersinger lange schuldig, bat Notenblatt um Notenblatt um Vorschuss, weil sein Lebensstil in dieser Zeit nicht seiner Arbeitsleistung entsprach.

Sein Musikverleger Franz Schott (bis heute werden dort die meisten Wagner-Werke verlegt) zeigte sich mit den Ergebnissen unzufrieden und stellte vorerst die Zahlungen ein, da Wagner ihm bis September 1862 die vollstÀndige Oper versprochen hatte. In einem im Oktober 1862 datierten Schreiben erklÀrt der Verleger, warum er keinen Vorschuss mehr zu leisten bereit war:

„Überhaupt kann ein Musikverleger Ihre BedĂŒrfnisse nicht bestreiten, dies kann nur ein enorm reicher Bankier oder FĂŒrst, der ĂŒber Millionen zu verfĂŒgen hat …“

Richard und Cosima

Wagner blieb noch einige Jahre chronisch klamm. Aber die Zeit, bis seine Gönner in Nassau und Mainz die Geduld verloren, sollte genĂŒgen fĂŒr wichtige Weichenstellungen in Wagners Leben. In Biebrich kam es zu ersten AnnĂ€herungen zwischen Richard und der noch mit dem Dirigenten Hans von BĂŒlow verheirateten Cosima. Bereits im Jahr darauf gestanden sie sich ihre Liebe, heirateten aber erst 1870. Cosima Wagner, die Richard letztlich antrieb, seinen Ring der Nibelungen fertig zu stellen und zum Meister von Bayreuth zu werden, lernte Wagner in der Villa Annica in Biebrich kennen.

In einem Aufsatz heißt es aus dieser Zeit:

„Man unternahm gemeinsame AusflĂŒge an den Rhein, in den Taunus oder nach Frankfurt. In Wiesbaden sorgten die Besuche in der Spielbank und im Theater fĂŒr willkommene Abwechslung. Bei der AuffĂŒhrung seines „Lohengrin“ verließ Wagner empört noch vor dem Schluss das Theater. Vielleicht war das der Auslöser gewesen fĂŒr die Idee, in Wiesbaden sein eigenes Festspielhaus zu errichten. Als möglicher Standort wurde die Adolfshöhe zwischen Biebrich und Wiesbaden in Betracht gezogen.“

Die heutige Richard-Wagner-Anlage, auch als Henkell-Park bekannt, sollte nach Wagners PlĂ€nen mit einem großen Festspielhaus bebaut werden. Vielleicht gaukelte er das auch nur vor, um weiterhin einen MĂ€zen in der NĂ€he zu finden. Denn eigentlich war Wagner die „Bussi-Bussi“-Gesellschaft der Reichen und Adeligen zutiefst zuwider. Er wĂ€hlte Bayreuth auch deshalb, weil es dort ringsum nichts Kulturell gab, was ihm Konkurrenz machen und von seiner Musik ablenken konnte.

Am liebsten hĂ€tte er auch seinen vollendeten Ring nur einmal uraufgefĂŒhrt und danach Theater nebst Partitur und allen Kopien verbrannt. Diesem Anarchisten Wagner huldigen am offiziellen Eröffnungsabend die diesjĂ€hrigen Internationalen Maifestspiele und laden, open air am Warmen Damm, zum anarchisch-musikalischen Weltenbrand ein. Klingt spannend – und ganz in Wagners Sinne.

Begegnung mit Herzog Adolph

Muse und Inspiration suchte Richard Wagner vor 155 Jahren im Biebricher Schlosspark. Dort sah er hĂ€ufig Herzog Adolph von Nassau und zeigt bereits in seiner Beschreibung dieser Begegnung, dass Wagner sehr selbstbewusst und von sich ĂŒberzeugt war:

„Er war mein Nachbar, und ich war ihm so oft bei meinen einsamen SpaziergĂ€ngen im Park begegnet, dass ich es fĂŒr schicklich fand, mich ihm vorzustellen. Leider wollte bei der hier stattfindenden Unterredung nicht viel herauskommen: Ich hatte es mit einem sehr beschrĂ€nkten, aber gutartigen Menschen zu tun, welcher sich entschuldigte, seine Zigarre in meiner Gegenwart immerfort zu rauchen, weil er ohne dem nicht bestehen könnte. Im Übrigen erklĂ€rte er mir seine Vorliebe fĂŒr die italienische Oper, bei welcher ich ihn von ganzem Herzen beließ.“

Verliebt in die Mosburg

Stark musste Wagner auch die Mosburg beeindruckt haben und er wĂ€re am liebsten dort eingezogen, wenn ihm sein Rheuma dies wegen der GewĂ€ssernĂ€he nicht untersagt hĂ€tte – zu feucht und ungesund:

„In einem hinteren Teile seines (des Herzogs von Nassau) Parkes stand an einem Teiche ein altertĂŒmlich aussehendes kleines Schlösschen, welches in dem Sinne einer pittoresken Ruine verwendet war und zur Zeit einem Bildhauer als Atelier (Emil Alexander Hopfgarten) diente. Es regte sich in mir der kĂŒhne Wunsch, dieses kleine verwitterte GebĂ€ude mir fĂŒr Lebenszeit zugeteilt wissen zu können.“

In einer Sache irrt der Komponist hier in seinen Wahrnehmungen und lĂ€sst doch tiefe Einblicke zu. 1862, als Richard Wagner hĂ€ufiger den Schlosspark besuchte, war der Bildhauer Hopfgarten bereits sechs Jahre tot. Wenn Wagner die Mosburg dennoch als bewohnt wahrnimmt, sagt das viel ĂŒber die Ehrerbietung Herzog Adolphs fĂŒr Hopfgarten aus. Nachdem dieser 1848 den Sarkophag fĂŒr Adolphs Frau Elisabeth gefertigt hatte, durfte er zeitlebens in der Mosburg wohnen. Adolph ließ nach dessen Tod 1856 eine Dauerausstellung daraus werden. Wagner nahm die Burg sechs Jahre spĂ€ter noch immer als genutztes KĂŒnstleratelier war.

Mit der Burg wurde es nichts und eine vernĂŒnftige Anstellung in der NĂ€he fand er auch nicht. Wagner zog zum Winter wieder weiter. Doch um Biebrich und Wagner schließt sich auch ein Kreis mit dem osmanischen Reich. Es ist der breiten Dokumentation ĂŒber Wagners Wirken zu verdanken und der Literaturrecherche vor allem von Meinrad von Engelberg, das man recht genau weiß, was sich wĂ€hrend des Aufenthaltes Wagners in Biebrich ereignete und was aus der Villa geworden ist. Hier wurden nicht nur spĂ€tere Ehebande Wagners in ihren AnfĂ€ngen geknĂŒpft. Cosimas Besonderheit erkannte bereits zuvor ein osmanischer Diplomat, den es auch hierher zog.

Osmanische Menschenkenntnis und französische Diplomatensprache

Am 16. Februar 1861, ein Jahr vor Wagners Zeit in Biebrich, schrieb der ebenso kultivierte wie musikbegeisterte osmanische Diplomat am preußischen Hof, Jean (Yanko) Aristarchi Bey (1822–1897) nach einer Begegnung mit Cosima und Hans von BĂŒlow in sein Tagebuch: „SoirĂ©e musicale chez Mme. de Schack. J’y cause avec Mme. Cosima de BĂŒlow, fille spirituelle de List [sic] et bonne pianiste. Son originalitĂ© frise l’excentricitĂ© que le caractĂšre de son mari n’est certes pas fait pour contenir.“

Der geĂŒbte Menschenkenner aus Istanbul traute Hans von BĂŒlow nicht zu, die „ExzentrizitĂ€t“ Cosimas dauerhaft befriedigen zu können. Offenbar zutreffend. Cosima trennte sich spĂ€ter von ihrem ersten Gatten, um 1870 Wagner zu heiraten, den sie in Biebrich als ihren Seelenpartner erkannt hatte. Es ist nicht ĂŒberliefert, wie hĂ€ufig sie sich noch begegneten. Jener osmanische Gesandte Aristarchi Bey aus Berlin aber hatte Biebrich bereits 1857 kennen und schĂ€tzen gelernt, als er seine Verlobte in Mainz besuchte und AusflĂŒge in die Umgebung machte:

„Excursion Ă  Biebrich pour visiter le beau parc du duc de Nassau au bord du Rhin. Situation unique.“ Nach dem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst wollte er seinen Lebensabend am Rhein verbringen, in Sichtweite von Mainz und seiner nunmehr angetrauten Gattin Anna von Bonin. Er kaufte die Villa Annica 1867, als Wagner schon lĂ€ngst weitergezogen war zum Hof von König Ludwig II., in dem er seinen freigiebigen FĂŒrsten gefunden hatte.

Der osmanische Diplomat sah sich jedoch 1889 gezwungen, die Villa zu verkaufen und nach Paris ĂŒberzusiedeln. Die neuen KĂ€ufer waren gerade wohlhabend geworden, mit ihrer Fabrik fĂŒr Zement in Amöneburg, kurz hinter der Ortsgrenze von Biebrich. Die Villa Annica ist seitdem im Besitz der Familie Dyckerhoff und ein Ururenkel von Rudolf Dyckerhoff lebt noch heute darin.

EMPFEHLUNG PERFORMANCE

Verbrannte Erde

Eine Oper für acht SĂ€nger

und zwei Molotov-Cocktail-Werfer

Zur Eröffnung der Maifestspiele wird das Wagnersche Feuer von der BĂŒhne des Staatstheaters geholt, um es im Park am Warmen Damm auflodern zu lassen: „Eine spektakulĂ€r-poetische Neukomposition fĂŒr acht SĂ€nger und zwei Molotov-Cocktail-Werfer als rituelle LiebeserklĂ€rung an den Anarchisten Richard Wagner.“

Termine

So 30. Apr. 21.30 Uhr

So 28. Mai 22.30 Uhr

Warmer Damm

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