Der erst rund 160 Jahre alte Hafen wird auch liebevoll als „Schiersteins Riviera“ bezeichnet, so wie sich für das mondäne Wiesbaden der Kaiserzeit die Bezeichnung „Nizza des Nordens“ eingebürgert hat. Vom Fischer- zum Yachthafen lag ein langer Weg, doch Schierstein konnte sich während dieser Entwicklung im Ortskern um den Hafen weitgehend seinen Charme und Charakter erhalten und hat sich zu einem beliebten Wohnort und Ausflugsziel gemausert. Wir halten aussterbende Erinnerungen alter „Scheeerstaaner“ fest und gehen dem Hafen und seiner Geschichte auf den Grund. Von Mario Bohrmann und Walter Richters
VOR DEM HAFEN
Die Geschichte Schiersteins, aber auch der anderen Orte entlang des rechtsrheinischen Ufers von Kostheim bis Walluf war Jahrhunderte lang geprägt von der Flößerei und Fischerei, dazu ein wenig Landwirtschaft. Zugespeist durch den Main, war der Strom hier besonders breit und wurde schnell zum Verkehrsknotenpunkt. Es herrschte noch ein Überangebot an zahlreichen Fischsorten und auch der Salm (Lachs) konnte noch reichlich gefangen werden. Echter Wildlachs war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein im Rhein heimisch und zeitweise so im Überfluss vorhanden, dass er den Leuten zu den Ohren rauskam. Ein „Arme-Leute-Essen“ – heute kaum noch vorstellbar.
Schierstein, als Tor zum Rheingau, liegt an einer fruchtbaren, weiten Rheinkurve gelegen, an der Deutschlands größter Fluss vor gut 200 Jahren noch eher gemächlich vorbeiplätscherte. Auch durch die zahlreichen kleineren Auen und Wörthe (Inseln), die mehr oder weniger seicht mit dem Land oder über Schilfgürtel untereinander verbunden waren, wurde das Ufer geschützt und der Fischreichtum begünstigt.
Der Rhein war noch unbegradigt und das Ufer nur an einzelnen Stellen befestigt. Lastkähne fuhren unter Segeln oder wurden von Pferden an Land gegen den Strom gezogen.
MIT DEM HAFEN
Die Dampfschiffe nahmen erst ab 1828 Fahrt auf. Dies hatte auch andere Folgen – erstmals wurden die Ufer mit durch von Schiffen verursachten Wellen konfrontiert, denn die großen Schaufelraddampfer, die von Köln kommend mit der ersten mobilen Energieversorgung, der Dampfmaschine, gegen den Strom fuhren, brachten gewaltige Verdrängung mit sich im Vergleich zu den Fischerbooten und Fährschiffen unter Segel und Paddel. Befestigungen wurden nötig gegen den wilder werdenden Rhein.
Der Handel und Freihandel wurde reger. Den Mainzer Nebeljungenstreich von 1841, als Mainzer Kaufleute die Fahrrinne zum Freihafen Biebrich über mehrere Jahre blockierten, hatte man im Herzogtum Nassau nicht vergessen und war nun kritischer etwaigen Blockademöglichkeiten gegenüber eingestellt. Es galt sich hiergegen abzusichern und weitere Industrie anzusiedeln sowie die Handelswege auszubauen. Über die Taunuseisenbahn und den Rheinbahnhof war bereits Biebrich angeschlossen, ab 1857 verband die Nassauische Rheinbahn Wiesbaden und Schierstein auch mit Rüdesheim. Da war der Hafen bereits seit einem Jahr in Bau.
Um Mainz einen eigenen Winterhafen entgegenzusetzen, versperrte man den Strom mit einem noch schmalen Damm zur damaligen Bismarksaue den Weg, wobei natürliche Gegebenheiten genutzt wurden. Die Stelle unterhalb der damals noch zweigeteilten Rettbergsaue eignete sich bestens dafür, sie war von allen Schifffahrtslinien aus zugänglich. Der Bau begann auf der Ostseite und wurde später zu einem anderen Teil des „Schiersteiner Wörths“ auf der Westseite erweitert. Drei Jahre dauerte es, den Winterhafen zu bauen. Man trotzte ihn einfach dem früheren Rheinstrom ab.
Nicht nur die Wirtschaft allgemein, auch Schiersteins Kneipenleben blühte nach dem Bau des Hafens ab 1859 schnell auf, denn als sicherer Winterhafen war er nun bei Flößern wie Rheinschiffern begehrt. Manchmal war er auch schlicht letzte Zuflucht, wenn das Eis kam. Etliche Fischlokale lebten von Ausflüglern, Hafenarbeitern, Flößern, Matrosen und Gästen aus der Bevölkerung. Die „Rheinhalle“ direkt am Ufer ist das letzte noch als Fischlokal betriebene Relikt aus dieser Zeit. Man war zwar immer noch ein weitgehend armes Volk, hatte aber sein Auskommen. Eine kinderreiche Fischerfamilie hatte es jedoch schwer. Sie arbeitete hart und ganzjährig. Selbst unter Eisschollen wurde mit Netzen gefischt, und jeder trug seinen Teil bei.
Die Frauen der Fischer brachten in Bottichen auf ihrem Kopf balancierend den Fang bis zum Wochenmarkt nach Wiesbaden und in umliegende Dörfer oder verkauften sie direkt an die Haushalte. Rund um den Hafen und um die „Muschel“ wurden die gefangenen Fische in großen Fischkästen lebend aufbewahrt und von dort auf Nachfrage an die Fischlokale und andere Kunden frisch geliefert.
Die heutigen Biebricher Rheinwiesen und der heutige Schiersteiner Hafen waren bis ins 20. Jahrhundert noch weitgehend Schilfgürtel und wichtiger Fanggrund. Auf der anderen Seite des Hafens gen Westen schloss sich noch lange nach dem Hafenbau überschwemmtes oder sumpfiges Gelände bis nach Walluf an.
WASSERWERKE ALS NEBENPRODUKT DER HAFENVERGRĂ–ĂźERUNG
Dieses große Gebiet, heute Heimat dutzender Storchenpaare, legte man erst mit dem weiteren Ausbau des Schiersteiner Hafens 1923 trocken und nutzte den Aushub aus der Erweiterung des Westhafens zum Aufschütten des Dammes zwischen Schierstein und Walluf. Dies nicht um der Größe des Hafens willen, der bislang kaum ausgelastet war und sich nie so recht zum Industriehafen entwickeln sollte, sondern um die Wasserversorgung der Stadt sicherzustellen. Jenseits des Dammes liegen bis heute die Brunnen von „Hessenwasser“ und zugleich der „Pumpen-Umschlagplatz“ der Wiesbadener Trinkwasserversorgung, ob vom Rhein oder Ried.
Wandel durch Weltkrieg und Storchenliebe
Die amerikanische Besatzungszeit ab 1945 und der Ausbau eines Teils des Osthafens zur Kaserne mit Unterkünften und Anlegestellen brachte zwar manchen Job und neues Leben in den Ort, aber auch Verschmutzung und Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur. Tief ins Gedächtnis alter Schiersteiner hat sich damals eingebrannt, dass junge amerikanische GIs als Zielübung und ohne jeglichen Sinn und Verstand das letzte Storchenpaar abgeschossen hatten. Der gute alte „Adebar“ war dadurch zeitweise ausgestorben in Schierstein, wo er doch seit Generationen in den Sumpflandschaften zu Hause war. Wie zum Trotz fanden sich 20 Jahre später in einer Privatinitiative Schiersteiner zusammen und siedelten mit Unterstützung anderer Umweltfreunde und Vereine die ersten Storchenpaare neu an. Im geschützten Bereich der Wasserwerke hat sich deren Population seitdem vervielfacht. Störche sind standorttreu, und auch ihre Jungen kehren zum Geburtsort zurück. Als identitätsstiftendes Symbol ist der Storch im Selbstverständnis der Schiersteiner heute wohl mehr verankert als der Reichsapfel als politisches Symbol früherer Zeit.
Wasserqualität und fehlender Austausch
Prinzipiell hat das Wasser im Schiersteiner Hafen wie auch im Rhein wieder eine gute Qualität. Eine Studie, die 2002 veröffentlicht und im Rahmen einer Magistratsvorlage bekannt wurde, kommt allerdings zu der Bewertung: „Die Untersuchungen der Sedimentproben im Hafenbecken des Schiersteiner Hafens zeigen relevante Belastungen mit Schwermetallen, Organozinn-Verbindungen und PAK, die fĂĽr einen Sporthafen typisch sind. … ein mittelfristiger Handlungsbedarf (ist) aus wasserbehördlicher Sicht im Sinne einer Sanierung durch Aushub gegeben. … Hauptsächlich betroffen sind die Bereiche des Bootshafens, die Fläche vor der ehemaligen Kaserne der Flusspioniere und die Hafenzufahrt.“
Die Stadt Wiesbaden würde die Sanierung gerne durchführen, aber der Bund, der für rund drei Viertel der Wasserfläche und damit auch der Kosten zuständig ist, macht bislang nicht mit. Dies ist einer der Gründe, warum der Halbtriathlon „Ironman 70.3“ nicht mehr in Wiesbaden stattfinden kann und Schwimmen und Angeln untersagt bleiben.
Für ein weiteres Problem ist der Lindenbach verantwortlich. Starkregen spült nicht nur viel Wasser in das Hafenbecken, sondern auch Erdreich und Düngerreste. Da im Hafen kaum Strömung herrscht, kommt das Wasser zur Ruhe und die „Mitbringsel“ setzen sich ab. Folge ist eine kontinuierliche Verlandung und eventuell auch unerwünschtes Pflanzenwachstum, seien es nun Algen oder die Wasserpest.
Was dem Hafenbecken fehlt, ist reinigende Strömung, wie es sie früher von Natur aus in dieser tiefen Rheinkurve gab, bevor sie vermauert wurde. Die Öffnung eines bestehenden, schmalen Zulaufs würde kaum reichen. Ein ordentlich dimensionierter Kanal zwischen Osthafen und Bismarksaue könnte Bewegung in das Hafenwasser bringen, birgt aber auch das Risiko, dass sich an anderer Stelle Sedimente sammeln. An einer Ausbaggerung führt zunächst kein Weg vorbei.
HAFENLEBEN HEUTE
Hans-Römer-Platz
Starten wir unseren Rundgang im Uhrzeigersinn um den Hafen auf dem Hans-Römer-Platz. Der hieß ursprünglich Hafen-Rondell und geriet nach dem Krieg in eine Randlage, weil sich östlich davon ein eingezäuntes Kasernengelände befand. Hier endet auch die Straße „Wasserrolle“, die ihren Namen dem Umstand verdankt, dass früher Hölzer für die Flößer auf der abschüssigen Straße zum Hafen hinunter gerollt wurden, geradewegs ins Hafenbecken. Nach dem Krieg wurde die Flößerei durch Güterzüge, Schiffsverkehr und Lkw unrentabel, doch die Wasserrolle bezeugt ihre Geschichte.
Als nach Ende der militärischen Nutzung 1989 allmählich auch der östliche Bereich des Hafens umgestaltet und für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden konnte, bekam der Platz eine zunehmend zentrale Rolle. Immer mehr Feste wurden und werden dort gefeiert, ob Weinfest, Kerb oder Jugendtag. Im März 2005 beschloss der Ortsbeirat dann, das Hafen-Rondell in Hans-Römer-Platz umzubenennen, um damit einen verdienten Schiersteiner zu ehren, der unter anderem Ortsvorsteher und Vorsitzender des Ortsrings war. Anschließend wurde dann die Forderung nach einer Neugestaltung immer lauter, und vor drei Jahren konnte der neue Platz eingeweiht werden. Von Donnerstag bis Sonntag kann man dort bis Anfang Oktober den stimmungsvollen Blick über den Hafen und auf die Dyckerhoff-Brücke zusätzlich mit einem guten Schoppen aus dem Weinstand vergolden.
Hafenstadt – Leben auf der Platte
Die SEG als Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbadens musste für den Bereich um die heutige Storchenallee und die Bismarksaue in den letzten Jahren einiges an Geld in die Hand nehmen, um Gewerbestandorte zu verlagern und Grundstücke zu sanieren. So wurde zur Neuerrichtung der Hafenstadt auch das Wasser- und Schifffahrtsamt auf der anderen Hafenseite neu gebaut und der Angelsportverein verlegt. Zuvor waren die Hinterlassenschaften der Bundeswehr beseitigt worden. Die Kaserne der Flusspioniere aus dem Jahr 1983 ist das einzige erhaltene Gebäude am Osthafen. Es liegt prominent an der Ecke zum Weinstand und beherbergt nach einem Komplettumbau nun ein Altenpflegeheim des EVIM.
Die Hafenstadt selbst schließt sich danach entlang der Promenade an und liegt tatsächlich auf einer riesigen Betonplatte direkt am Osthafen. Nach dem Krieg war dort zunächst die amerikanische „Rhine River Patrol“ stationiert, die 1958 von Flusspionieren der Bundeswehr abgelöst wurde. Nach der „Entmilitarisierung“ des Schiersteiner Hafens mussten die Planer bei einer zivilen Nutzung berücksichtigen, dass es sich bei dem Gelände um Retentionsraum handelt. Es darf dort also nichts gebaut werden, was einem extremen Hochwasser den Platz nimmt, um sich auszudehnen. So kann flussabwärts die Überflutung, etwa der Kölner Altstadt, ein wenig abgemildert werden. Die Lösung war eine Tiefgarage, die geflutet werden kann, und eine riesige Betonplatte, auf der die Wohngebäude oberhalb der Wassermassen stehen.
Kunstmole
Vor der Hafenstadt ragt die Kunstmole ins Hafenbecken, eingebettet in die Bootsstege einer großen Marina. Am ersten Steg, noch zum Hans-Römer-Platz hin, liegen im Wechsel große Feuerwehrboote oder Gastschiffe der Stadt. Von Ende April bis Anfang Oktober stellen auf der Kunstmole drei Künstler ihre Werke aus, derzeit Sandra Heinz, Roland Meyer-Petzold und Ulrich Schreiber.
Zwischen Hafenstadt und Kunstmole verläuft die neue Promenade, inzwischen benannt nach dem ehemaligen Schiersteiner Ortsvorsteher Dieter Horschler, der sich in seiner Amtszeit engagiert für die Kunst am Hafen eingesetzt hat. An das traumhaft gelegene neue Wohngebiet entlang der Stege für Boote verschiedener Größen schließen sich Bürogebäude an, unter anderem die Zentrale der Schufa, die sich gerne nach Osten erweitern würde.
Vor Jahren stoppte das Regierungspräsidium Darmstadt abrupt die Bebauung des verbleibenden Grundstücks bis zum Hafenweg, weil in der Nähe Chlorchemie gelagert wurde. Jahrelanger Stillstand folgte, und der damalige Hauptinteressent für das Gelände hat seinen Firmensitz längst nach Mainz verlegt. Inzwischen ist das Problem aber gelöst, so dass auch dort demnächst mit reger Bautätigkeit gerechnet werden kann. Die Entscheidung hierzu, wie auch zum Grundstück der „Knochenhütte“, sind Themen der nahen Zukunft, denn mit diesen Arealen ist bis auf Weiteres das Aussehen und die Nutzung des Schiersteiner Hafens vollendet.
Die alte „Knochenhütte“ und die Stadtentwicklung Osthafen
Bis weit in die 1970er Jahre wurden Biebricher und Schiersteiner Nasen durch den „Duft“ der Gelatineproduktion der sogenannten Knochenhütte so manches Mal unsanft geweckt – ein schwer beschreibbarer, süßlich herber Geruch, wenn der Wind schlecht stand deutlich unangenehmer als der gelegentlich herüberwehende Mokkaduft von Nescafé aus Mainz-Mombach, der den „Anrheinern“ ebenso bekannt sein dürfte. Die Nase vergisst nicht. Letztlich wurden in der Knochenmühle viele Jahrzehnte aus Tierkadavern, vielmehr aus deren herausgelösten Knochen, Gelatine und Seife hergestellt. Die Firma „Gelita“ ist heute noch Weltmarkführer in diesem Bereich. Die an der Grenze zwischen Biebrich und Schierstein, direkt unterhalb der Schiersteiner Brücke am Hafen gelegene Fabrik wurde jedoch längst abgerissen und ist weiteres begehrtes Entwicklungsobjekt für Wiesbaden.
Das Gelände grenzt oben an die Rheingaustraße, ist relativ hochwassersicher, bislang jedoch noch industriell gewidmet und aufgrund der Nähe zur Autobahn nur schwer wohnwirtschaftlich oder für höherwertiges Gewerbe nutzbar. Bloß keine weiteren Tankstellen, Schnellimbisse oder andere verkehrslastigen Betriebe wünscht man sich an dieser Stelle, so nahe an der Autobahnauffahrt nach Mainz und Wiesbaden. Die Stadt hat zwar mit einer Änderungssperre unerwünschte Planungen bislang verhindern können, jedoch lange versäumt eine neue Flächennutzungsplanung voranzutreiben. Immerhin wurde von Wiesbadens damaligem Bürgermeister und Umweltdezernenten Arno Goßmann bereits mit Baubeginn der neuen Schiersteiner Brücke zugesagt, Lärmschutz in Richtung Osthafen im Zweifel selbst zu finanzieren.
Es bleibt zu hoffen, dass Gelita als Eigentümerin das Grundstück zur Entwicklung an die Stadt verkauft, und nicht an irgendwelche Investoren. Die Zeit der Fabrik- und Industrieanlagen im Osthafen ist jedoch zweifelsfrei vorbei. Gewollt durch die Stadtpolitik und auch längst besetzt durch Freizeitsportler und besser betuchte Wiesbadener ist der ehemals schmuddelige, verdreckte Osthafen beste Wohnlage, und für Bootsliegeplätze gibt es in den Wassersportvereinen und an den Privatstegen lange Wartelisten.
Raiffeisensilo
Den unübersehbaren Abschluss des Hafenbeckens in Richtung Biebrich bildet das bereits in den 1960er Jahren errichtete Raiffeisensilo. Er steht kurz vor dem neuen Brückenschlag der A 643 über den Rhein, ist nicht unbedingt schön, aber aus Sicht der Kartografen eine „Landmarke“. Vor einigen Jahren gab es die Vorstellung, den Betonklotz in ein Wellness-Hotel umzuwandeln, aber dann wurde es bald still um diese Idee. Er wird weiterhin von Raiffeisen als Getreidesilo und zur Produktion von Tierfutter betrieben.
Bismarksaue – Bismark nach Schiersteiner Art
Bismarcks und Bismarks sind verwandt, aber die Schreibweise des Namens hat sich unterschiedlich entwickelt. Für die Benennung der Bismarksaue (zuvor Schiersteiner Wörth) zuständig ist die Schiersteiner Linie von Johann Heinrich Ludwig von Bismark (1774 bis 1816), Oberhofmarschall von Herzog Friedrich August von Nassau (1806 bis 1816), der seinen Bediensteten mit einem Stiftshof nebst zugehörigem Gut und Weinbergen bester Lagen belohnt hatte.
Heute findet man auf der nun fest mit dem Land verwachsenen Aue das Wasser- und Schifffahrtsamt, das Vereinsheim der Angler, die DLRG-Station und leider auch die Reste des ehemaligen Tankdienstes Rein und des Hafenladens. Mauerreste, alte Stromzähler und Abfälle, umschlossen von einem maroden Zaun, tragen nicht zur Attraktivität des Geländes bei. Das zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt hat zwar Besserung gelobt, geschehen ist aber bislang wenig.
Dahinter, entlang des eigentlichen Rheinufers südlich des Hafens, sind mittlerweile die meisten Industriebrachen des letzten Jahrhunderts renaturiert worden – oder einfach von der Natur zurückerobert. Was aber zuvor in den Zeiten des Krieges und militärischer Nutzung danach an Dreck und Müll als Damm zum Rhein hin verscharrt worden ist, will heute lieber niemand so genau wissen. Einiges wurde fachmännisch entsorgt. Aber vieles ist schlicht nicht ohne vertretbaren Aufwand erreichbar. Das gilt auch für abgelagerte Schwermetalle und im Schlick angesammeltem Müll aus vielen Jahrzehnten industrieller und militärischer Nutzung. Nicht zuletzt wurden zu Kriegsende 54 von 56 im Hafen Schutz suchende Schiffe von der Wehrmacht sinnlos samt Ladung versenkt. Die Wracks waren bald geborgen, doch jede Menge anderer Altlasten sammelte sich an, vor allem im Osthafen und vor der ehemaligen „Rhine-River-Patrol“.
Die Dyckerhoff-BrĂĽcke
Gleich neben der DLRG-Station an der östlichen Hafenspitze, von der aus seit 1929 ehrenamtlich Strom und Hafen überwacht und Schwimmer und Schiffbrüchige gerettet werden, überspannt die Dyckerhoff-Brücke seit 50 Jahren die Hafeneinfahrt. Sie war ein großzügiges Geschenk des gleichnamigen Zementwerks, das 1964 seinen 100. Geburtstag feierte und der Stadt die Brücke schenkte. Erstmals in Deutschland eingesetzter Leichtbeton begünstigte die filigrane Konstruktion, die erst seit 1967 die Umrundung des Hafenbeckens ermöglicht. Von oben hat man einen herrlichen Blick zum Rhein oder über den Hafen bis zum Taunus, und auch Liebesschlösser finden/fanden dort ihren Platz an eigens dafür montierten Drahtseilen. Leider ist eines der Hauptseile beschädigt worden, und wohl einige hundert Schlösser liegen nun am Grund der Hafeneinfahrt. So manche Ehe mag auch bereits wieder geschieden sein. Dies gilt auch für manche Partnerschaft in der Gastronomie; die in Schierstein wie in Wiesbaden gerade schwer im Wandel ist.
EXKURS HAFENGASTRONOMIE
Früher reichlich mit Fisch- und anderen Speiselokalen und Kneipen ausgestattet, hapert es zumindest in der Breite der Gastronomie augenblicklich am Hafen. Drei Lokale waren bis in den Juni geschlossen. Das langjährig beliebte „Orange“ bietet terrassenförmige Bestlage und war plötzlich zu. In dem vor allem zum Frühstück und im Sommer sehr beliebten Lokal zeigt sich vermutlich ein Generalproblem der Gastronomie am Hafenrand: Saisonaler Betrieb trägt sich nur in besten Sommern. Das Orange findet augenscheinlich bereits seit mehr als einem Jahr kein neues Konzept oder einen neuen Wirt. Dies mag auch daran liegen, dass das erheblich sanierungsbedürftige Gebäude im August zwangsversteigert werden soll. Ob die Gastronomie bleibt, ist daher ungewiss.
Der traditionsreiche „GrĂĽne Baum“ dagegen, in einer der Seitengassen etwas oberhalb gelegen, hat gerade wieder geöffnet, leider jedoch einen Teil seiner Identität entfernt. Der noch aus der Zeit der Flößerei stammende Spruch im Dachbalken: „Wann mer auch arme Leit‘ sinn, mer lewe doch“ wurde bei der Renovierung ĂĽberstrichen. Die lebensbejahende und historische Botschaft der trinkfesten Flößer und der Bevölkerung wurde augenscheinlich nicht verstanden.
Das ehemalige „Rheinfels – La Scala“ war jetzt zwei Jahre lang mehr zu als auf und kündigt an, bald als „Hafenblick“ zur Verfügung zu stehen. Nichts ist beständiger als der Wandel, auch am Schiersteiner Hafen. Wiesbaden bleibt ein schwieriges Pflaster, was dauerhaften Bewirtungserfolg angeht. Die Hafengastronomie hat jedoch bei jedem Wetter mehr Aufmerksamkeit verdient.
Hafenmuschel und Promenade
Vor dem früheren „Rheinfels“ und unterhalb der „Arche Noah“ lag bis 1954 noch die „Muschel“, eine befestigte Bucht am Hafenrand. Bis weit in die Nachkriegszeit hinein wurden hier Boote an Land geholt oder auch Pferde im Wasser geschrubbt. Jungs zeigten sich den Mädels, mit den Pferden im Rhein badend und schwimmend. Die Fischerei ging längst dem Ende zu.
Um für das immer erfolgreichere Hafenfest und dessen Besucher eine durchgängige Promenade zu ermöglichen, wurde die nicht mehr wirklich benötigte Muschel 1954 zugeschüttet, schon damals vor allem durch Privatinitiative des Schiersteiner Verkehrsvereins. Aus dieser Zeit stammt auch die Allee entlang der nun bis zum „Hafen-Rondell“ durchgehenden Promenade.
Die „Rheinhalle“ als letztes Relikt der Fischlokale
Ein Fels in der Brandung des gastronomischen Wandels ist bislang die Rheinhalle, das älteste Fischspezialitätenrestaurant am Schiersteiner Hafen und zu jeder Jahreszeit gut besucht. Sein hölzerner Giebel ragt noch am tiefsten in die Hafenstraße ein, und seine Küche hat den ursprünglichen bodenständigen Charakter bis heute behalten. Hier aber suchen die Wirte nun einen Nachfolger.
„Arche Noah“ auf Grund und ständiger Wandel
Auch das schwimmende „Gegenüber“ der Rheinhalle, die Arche Noah, hat eine lange Tradition. Diese wurde allerdings 2002 für rund drei Jahre abrupt unterbrochen. Durch einen Defekt liefen die Schwimmer voll, das Restaurant fing an zu sinken und war nicht mehr zu retten. Seit 2005 begrüßt eine neue Arche die Gäste auf dem Wasser mit Terrassen darüber. Ihre Pächter, Roswitha und Gunter Lieb, werden jedoch nicht gerne an diese für sie sehr kostspielige Zeit erinnert. Sie gehen nun in den Ruhestand, und die Arche Noah erhält einen neuen Betreiber. Der langjährige Koch Casan Sadek übernimmt zum Sommer das Steuer.
Die griechische Familie Polichronakis wiederum führt weiterhin das „To Limani“ auf dem Vereinsgelände des Wassersportvereins Schierstein (WVS) im Westhafen mit schönstem Aussichtsdeck. Gegenüber bietet das Yachtcafé als Teil des Motorbootclubs Mittelrhein beste Perspektiven über das Hafenbecken Richtung Schierstein. Beide Lokale sind Bereicherungen aus neuerer Zeit. Alle hier nicht erwähnten Gastronomen mögen uns verzeihen.
Die Wassersportvereine als Seele des Hafens
Die Hafenerweiterung Richtung Westen geschah in einer Zeit, in der die Begeisterung für alle Arten von Wassersport wuchs. So konnte der 1921 gegründete WVS bereits 1925 Teile der Uferwiesen besetzen. Aus kleinen, hölzernen Umkleidekabinen entstanden große Bootshäuser und Vereinsheime. Der Schwimmclub Wiesbaden (SCW) an der Westspitze, später auch der Ruderclub Wiesbaden-Biebrich (RWB) gegenüber fanden ihre Heimat im Westhafen genauso wie der Wassersportverein Wiesbaden und der Wiesbadener Yachtclub. Der Ruderclub mit dem einfachsten Bootshaus an der Südspitze des Westhafens fürchtet gerade um sein schwimmendes Trainingszentrum, das unrettbar vor dem Untergang steht. Hier nutzen seit vielen Jahrzehnten Vereine und Schulen die geschützte Möglichkeit, das Rudern zu erlernen. Möge sie erhalten bleiben.
In jedem Fall hat die frühe „Kolonialisierung“ des Westteils des Hafens, mit Vereinsleben auf und am Wasser, Schierstein bis heute bereichert und in seiner Form geprägt – und der Hafen hat sich letztlich als Freizeitsporthafen durchgesetzt.
Die „Tamara“
Sie gehört zum Hafenbild einfach dazu: die Tamara, Personenfähre seit 1934. Damals verkehrte sie noch zwischen Mainz und Kostheim. Adrian Aidoiu ist seit 26 Jahren ihr Kapitän. Er fährt im Regelbetrieb im Auftrag der Wiesbadener Bädergesellschaft Mattiaqua von April bis September zwischen Biebrich und Schierstein und den beiden früheren Strandbädern auf der Rettbergsaue. Bei jedem Wetter. Die Fähre ist bis zur Fertigstellung der Schiersteiner Brücke der einzige Weg auf die Insel. Vor zwei Jahren wurden die eisernen Buchstaben des Schiffes entfernt und durch Klebebuchstaben ersetzt. Aus den massiven Eisenbuchstaben erschuf der Wiesbadener Andreas Gudert „Tamaras Stuhl“. Ein Werk, so der Künstler, das die Besucher des Hafens zum Darauf- und Be-Sitzen einladen soll, um sich in aller Ruhe dem Treiben auf dem Hafen zu widmen.
Das Schiersteiner Hafenfest
Zum ersten Mal 1939, noch vor Kriegsbeginn, als „Backfischfest“ gefeiert, hat das Schiersteiner Hafenfest um das zweite Juliwochenende längst einen festen Platz im Kalender der Wiesbadener Geselligkeit. Dieses Jahr findet es zum 69. Mal statt. Es folgt immer eine Woche auf die „Gibber Kerb“, ein älteres Brauchtumsfest beim Nachbarn Biebrich, das seine Kerb am ersten Juliwochenende im Mosbachtal auf den Gibber Bleichweisen feiert.
Als das Hafenfest einige Jahre nach dem Krieg wiederbelebt wurde, legte die Stadt Worms Einspruch ein wegen älterer Rechte am Namen „Backfischfest“. Das Wormser Pendant bestand schon deutlich länger, so dass die Wiesbadener ihr Fest umbenannten. Der Schiersteiner Verschönerungsverein zeichnet für dieses Mammutprojekt innerhalb einer kleinen Gemeinde verantwortlich. Der Verein hat sich von jeher, früher als „Schiersteiner Verkehrsverein“, an der Infrastruktur in Schierstein beteiligt. Das Hafenfest trägt mit seinen Umsätzen maßgeblich dazu bei, dass hierfür Mittel bereitgestellt werden können. Seine Besonderheit liegt in der Mischung aus Weinfest, Kerb, Vereinsfeier, Jahrmarkt und Budenzauber – das ganze Nordufer entlang und gekrönt vom schönsten Feuerwerk Wiesbadens. Dem schönsten auch deshalb, weil kein anderes sich so bunt und breit im Wasser spiegelt, weshalb zehntausende Menschen es bestaunen. Den besonderen Sound aus Applaus der Besucher im stadionähnlichen Rund des Hafenbeckens und der Nebelhörner der Boote nach den Abschlussböllern des Feuerwerks erlebt man nur hier, am Schiersteiner Hafen – und nur einmal im Jahr.
KOMMENTAR
An der hier beschriebenen Stelle der Rheinkurve wurden zuvor über Zehntausende von Jahren fruchtbares Land und Lößboden angeschwemmt.
Das größte zusammenhängende Gewerbegebiet Schierstein/Biebrich, nebst Schiersteiner Brücke, steht heute in diesem Bereich früheren Schwemmlands, wie auch die ufernahen Teile Schiersteins und Biebrichs. Auch die begünstigst am Südhang des Taunus gelegenen Weinberge sind Produkt des Verlaufs früherer Meere und des später durch Begradigung kastrierten Rheins.
Wo früher fruchtbarste Felder lagen, werden heute in Plastik verpackte Lebensmittel in gesichtslosen Zweckbauten auf versiegelter Fläche feilgeboten.
Wo früher hunderte Fischer ihren Lebensunterhalt verdienten, im Winter Eisschollen aus dem Rhein zur Kühlung ihrer Keller bis in den nächsten Sommer heranschafften, gibt es heute weder Eis auf dem Rhein noch Fischer.
Die Begradigung des Rheins und Kanalisierung änderten seinen Lauf und seine Geschwindigkeit. Die Einleitung unserer Abfälle und warmer Wässer gaben der Natur den Rest, der Klimawandel tut sein Übriges. 1956 fror der Rhein zuletzt vollständig zu. Auch der Hafen tut dies kaum noch.
Der letzte Schiersteiner Fischer hörte in den 1960er Jahren auf. Seine Frau verkaufte damals aus dem Fischerhaus heraus noch Eis an Ausflügler, die Kugel für fünf Pfennig, erinnert sich Werner Schäfer, heimatkundiger Schiersteiner bei unseren Gesprächen im Heimatmuseum in der früheren Hafenschule. Der letzte Fischer, Phillip Schröder, starb 1987.
Letztlich ließ die Industrialisierung keinen Raum und kein sauberes Wasser mehr für das Fischerhandwerk im Schiersteiner Hafen und um die Auen. Das ist aber auch längst idealisierte Geschichte, und das Wasser ist wieder vergleichsweise sauber, die Lachse kehren sogar zurück. Der Hafen hat sich vom nie wirklich etablierten Industriehafen zum Naherholungsziel und beliebten Wohnort entwickelt. Der Schiersteiner Hafen ist ein ganzjähriges Highlight von Wiesbaden, das diesen Stadtteil, wie Biebrich auch, erst 1926 eingemeinden konnte und erst seitdem einen Fuß am Rhein hat. Amöneburg, Kastel und Kostheim gehörten damals und noch lange danach zu Mainz.
Im Osthafen entstand Luxuswohnraum, in den gerade von einer Versicherung neu errichteten 178 Appartements des „Rheingau-Palais“ auf dem früheren Gelände der Sektkellerei Söhnlein im Westen wird „Wohntraum“ hochpreisig vermietet. Schierstein ist begehrt, und Lagen direkt am Hafen sind sehr begrenzt. Dazwischen trotzt der alte Ortskern von Schierstein einer Gentrifizierung und behält seinen liebenswerten Charakter – hoffentlich noch lange.