Der Neroberg heute – und morgen?

Um den Gesamtkomplex zu erfassen, ist die Hintergrundgeschichte genauso wichtig wie der Status quo auf dem Neroberg, der sich so ja erst nach dem Vollbrand entwickelte. Wir trafen oder befragten fĂŒr diesen Artikel alle derzeitigen und einige damaligen Akteure auf dem Neroberg sowie DenkmalschĂŒtzer und Historiker; viele von ihnen sehen den Umgang der Stadt mit ihrem historischen Erbe kritisch.

Das lilienjournal verabredete sich Mitte Juni bei „Wagner im Turm“. Berthold Bubner, Hauptkonservator a. D., Architekt, Diplomingenieur und Regierungsbaumeister ist mittlerweile 80 Jahre alt; von 1976 bis 2003 war er Leiter der stĂ€dtischen Denkmalschutzbehörde. Er wie auch der Bauhistoriker Dr. Martino La Torre kommen schnell zur Sache, wenn sie sich umblicken. Denn der einige Jahre nach dem Abriss des Hotels in die heutige Form gebrachte Neroberg hat nur noch wenig von seinen historischen BezĂŒgen behalten. Insbesondere die Erhöhung des Plateaus rund um den Monopteros widerspricht ihrer Meinung nach nicht der historischen Bautradition. Aber auch die Erlebnismulde am eigentlich besten Aussichtspunkt der Stadt wird von ihnen als ungelöst betrachtet, so Dr. Martino La Torre:

„Der Neroberg scheint seit Jahrzehnten immer mal wieder ein ergebnisoffener Workshop der Stadt Wiesbaden zu sein. FĂŒr die weitere Nutzung des Hotels fanden die Verantwortlichen seinerzeit keine Lösung. So hat das Hotel zweimal brennen mĂŒssen, bis es „endlich weg“ konnte. An der prominentesten Aussichtsstelle der Stadt, an deren höchsten Punkt, entstand, anstelle des Hotels, ein monumentales Loch (die sog. Erlebnismulde), das der Funktion als Aussichtspunkt des Wiesbadener Hausberges diametral entgegensteht. Neben dem Turmfragment erinnern lediglich die KanalanschlĂŒsse ganz unten im Loch und die wegen der frĂŒheren Keller teils abgesackten Quader am oberen Rand der Mulde an den Hotelbau.“

Kastrierter Monopteros und Genius loci ohne Geist

Berthold Bubner erinnert sich, dass gewisse Herren nach den BrĂ€nden relativ schnell die Reste entsorgen ließen. Um sich dann wenige Jahre spĂ€ter, auch unwissentlich, ĂŒber jeden Denkmalschutz hinwegzusetzen. Die Stadt zeigte schon nach dem Ende des Hotelbetriebes kein wirkliches Interesse daran und warf Wiesbadener Kultur- und BĂ€dertradition teils ĂŒber Bord, weil kein Sinn dafĂŒr da war, so Bubner. Man versuchte sich von allem zu lösen, was Geld kostete, verkaufte oder vernachlĂ€ssigte Kulturgut. Er sieht das Ergebnis mit der Mulde Ă€hnlich wie Dr. La Torre, ihn Ă€rgert aber vor allem die Erhöhung des Niveaus rund um den Monopteros, die vor rund 25 Jahren unter Stadtentwicklungsdezernent Thomas Dilger (FDP) umgesetzt wurde und den kleinen Tempel seiner eigentlichen Bestimmung beraubte. Letztlich ein unbeabsichtigter Planungsfehler, der erst hinterher bemerkt wurde.

Bubner: „Er stand immer erhaben, musste ĂŒber mehrere Stufen erklommen werden. In der Gartenbaugeschichte sind solche Monopteroi immer ein wenig erhöht. Ziel war stets, eine erhabene Situation zu erschaffen, man musste eine Lebenssituation verlassen, um sich in eine andere zu begeben. Mit dem Plateauumbau 1993/94 hatte er fast seinen gesamten Stufenbau verloren und wurde damit seiner wahren Bestimmung beraubt.“

Diese Kritik ist nicht neu, und die Planer mussten ihre Fehler eingestehen. Geld zur Beseitigung dessen erbat Dilger dann aber vom zuvor kaum angehörten Amt fĂŒr Denkmalpflege, was nun wirklich nicht deren Problem war. Es blieb, wie es ist. Bis heute. Konsequenzen hatte es keine, außer den immer weiter fortschreitenden Verlust des „genius loci“.

Der „Geist des Ortes“ war ja schon durch den Verlust des Hotels kaum noch erkennbar. In Architektur und Stadtplanung sollte der Genius loci entwurfsbestimmend sein. Die Definition der Lage eines GrundstĂŒcks und seiner Einbettung in ihrer Umgebung gewinnt seinen Wert nicht alleine daraus und aus seinen Nutzungsmöglichkeiten. Auch die AtmosphĂ€re und Aura eines Platzes und im Kontext des Nerobergs auch dessen historische Bebauung und Bedeutung sind Teil des Gesamtkonstrukts, das den Geist eines Ortes formt. Beim Neroberg wollte man nach dem Abriss der Hotelreste eine schnelle, kleine Lösung. Die Stadt schrieb einen Wettbewerb aus fĂŒr eine gastronomische Nutzung des Turms und verfolgte selbst die Neugestaltung des umgebenden Areals. Dies fĂŒhrt zu bis heute komplexen ZustĂ€ndigkeiten und BesitzverhĂ€ltnissen. Eine historische Gesamtbetrachtung nebst Vision blieb aus. Dr. Martino La Torre fand den schönen Begriff der „kontextlosen GelĂ€ndemodellierung“ fĂŒr diese Notlösung mit hohen KollateralschĂ€den.

Die Erlebnismulde als Provisorium

Hildebert de la Chevallerie war von 1970 bis 1998 Leiter des Wiesbadener GrĂŒnflĂ€chenamtes und langjĂ€hriger PrĂ€sident der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL). Auf Anfrage des lilienjournals erlĂ€utert er, wie es zum Status quo kam und wie er es heute sieht:

„Der Hausberg verdient nicht nur eine Erörterung, sondern eine Wiedererweckung. Ein schickes Restaurant wĂ€re hier vorstellbar, mit den alten historischen Blickbeziehungen und weitlĂ€ufigen Außenterrassen fĂŒr eine Außenbewirtschaftung. Doch sollte man hier nicht im historischen Stil bauen, auch nicht mit dem Versuch einer Rekonstruktion des alten Neroberghotels. Die damalige Wiederbelebung des CafĂ©s in den 1970er bis 1980er Jahren war ja auch deswegen schwierig, weil die alten Funktionsbauten, KĂŒche zum Beispiel, nicht dem Ablauf eines modernen CafĂ©s entsprachen. Also: ein tolles Cafe wĂ€re der historischen Bedeutung des Hausbergs und dem auch heutigen Besucherstrom angemessen und wĂŒnschenswert. Man sollte modern gestalten, hierfĂŒr einen Wettbewerb ausschreiben.

Zur Situation nach dem Abbruch: Nur der Turm blieb erhalten, er mĂŒsste wieder als Aussichtsturm dienen. Das Hochbauamt entwarf damals den kleinen, bescheidenen CafĂ©-Anbau. Ein stĂ€dtebauliches Provisorium, aber nur das war mit den damaligen Geldmitteln machbar. Es war damals sehr schwer, einen Gastronomen zur Bewirtschaftung zu finden, der Neroberg war ein ,krimineller Ort‘ mit stĂ€ndigen Zerstörungen. Nur Herr Wagner vom Opelbad-Restaurant hatte den Mut, hier zu starten.

Die Mulde wurde, im Auftrag des Gartenamtes, von den Wiesbadener Landschaftsarchitekten Gero Marten und Porlein gestaltet. Es gab eine lange Diskussion, mit dem Ortsbeirat, mit dem Naturschutz. UrsprĂŒnglich sollte es keine Mulde werden, sondern ein Amphitheater mit dem Monopteros als Blick- und Mittelpunkt, der gleichzeitig als BĂŒhne fungieren sollte. Das wĂ€re sehr sinnvoll und von der Funktion ĂŒberzeugender als heute gewesen. Aber es kam anders. Im Ortsbeirat hatte man die BefĂŒrchtung, dass der LĂ€rmkegel bei Veranstaltungen hangabwĂ€rts die Talbebauung stören wĂŒrde. Das wĂ€re auch so, bei entsprechender Windrichtung hört man auch heute zum Beispiel die Lautsprecherdurchsagen des Opelbades.

So musste umgeplant werden. Statt eines Amphitheaters entstand die Erlebnismulde in Form einer Spirale. Sie ist zwar ein ,Loch‘, da hat Dr. La Torre recht, und entspricht in keiner Weise dem historischen Anspruch des Hausbergs. Doch damals war nicht mehr drin, und in sich funktionierte die Spirale, sie wird automatisch von Kindern gut angenommen, die hier den Verlauf erkunden, und auch Erwachsene nehmen hier gerne ihr Picknick ein. Man sitzt hier schön, und es kostet nichts. Doch, um es noch einmal zu sagen, auch die sogenannte Erlebnismulde ist ein Provisorium, und es ist gut vorstellbar, im Rahmen einer Neuorientierung entsprechende Sitzterrassen im Monopterosbereich anzubieten.

Wagner im Turm und Erlebnismulde

Stephan Wagner, Juniorchef der Wagnergastronomie im Opelbad, der das CafĂ© im Turm verantwortet und damals nach den EntwĂŒrfen der Stadt baute, kommt in unsere Runde hinzu. Und weiß als Gastronom in Doppelfunktion einiges zu erzĂ€hlen. Einen internen Architekturwettbewerb der Stadt gewann 1991 ein Entwurf des Hochbauamtes, wie er jetzt, zumindest Ă€ußerlich, auch steht. An seiner Ausschreibung beteiligten sich nach Wagners Erinnerung nur drei oder vier Betriebe. Es bestand ein hohes Risiko angesichts des abgelegenen Orts, der zu dieser Zeit gerade nachts alles andere als sicher war. Wagner beteiligte sich auch nur deshalb, weil die Anbindung zum Opelbad bereits vorhanden war. Vorteile beim Personaleinsatz seiner nahegelegenen Betriebe bringt das aber nicht, denn die Wetterlage macht den Neroberg entweder proppenvoll oder gleichmĂ€ĂŸig leer. Kalkulierbar ist das kaum. Wagner beteiligte sich zusammen mit seiner Brauerei, Binding, heute Radeberger, an der Ausschreibung. Und erhielt sogar die einstimmige Bewilligung im Stadtparlament.

Schon damals stand der Neroberg in politischer Verantwortung verschiedener Parteien. GrĂŒnflĂ€chen, Stadtwald, Bauaufsicht wie Denkmalschutz, Zuwegungen und Verkehrswege wurden in verschiedenen Dezernaten gefĂŒhrt. Wenn auch in neu gemischten politischen Karten ist dies unverĂ€ndert der Fall. 1992 fing Wagner an, zu bauen, und es dauerte letztlich gut zwei Jahre, bis er 1994 eröffnen konnte. Der Grundentwurf war von Anfang an zu klein dimensioniert, und eine Erweiterung wenigstens um Keller erforderlich. Die wurden zwar bewilligt, doch wĂ€hrend des Bauens stellte sich heraus, dass hier Bunker waren. Diese Luftschutzbunker mussten teilweise erst gesprengt werden. Auch die Wasser-, Strom- und Gasleitungen waren komplett marode und mussten erst vom Opelbad neu verlegt werden. Letztlich verdoppelten sich die Kosten auf zwei Millionen D-Mark, von denen sich die Stadt lediglich mit 80.000 D-Mark beteiligte, so Stephan Wagner. In dieser Zeit entstand auch die Erlebnismulde. Auf stĂ€dtische Kosten.

Schwierige Bedingungen und dunkles Pflaster

Ein großes Problem war gerade in der Anfangszeit, dass manche GĂ€ste des Turms abends von Halbstarken auf dem Neroberg angepöbelt wurden. Auch auf dem Fußweg talabwĂ€rts. Wagner junior erinnert sich an eine legendĂ€re Aktion des damaligen OBs Achim Exner, der mit Wagen am Tempel vorfuhr, sich mitten in die Menge der Feiernden stellte, aufs Autodach stieg und sagte: „Macht mal den Kofferraum auf“. Darin fanden sich zwei KĂ€sten Bier, die er ausgab, und er fragte: „Was ist euer Problem? Wir finden einen Platz fĂŒr euch.“ Nach Wagners Erinnerung hat das auch kurz funktioniert, dann wurde es doch immer schlimmer. Es war die Zeit der Hausbesetzer in Frankfurt, die Stadt hatte die Nase voll von „Sodom und Gomorra“ auf dem Neroberg und ließ ĂŒberörtliche Amtshilfe organisieren. Mehrfach kamen Sondereinheiten aus Frankfurt, die aus dem Wald stĂŒrmten, um zwei Monate lang die harmlos Feiernden wie auch Dealer zu ĂŒberraschen. VerdĂ€chtige wurden mitgenommen, Kabelbinder, Feststellung der Personalien in der Stadt, das volle Programm. Danach war Ruhe, zumindest das Drogenproblem wurde an dieser Stelle gelöst.

Attraktiver gestalten und doch wieder bremsen

„Einerseits sollte alles attraktiver werden, um mehr GĂ€ste anzuziehen. Ein paar Jahre spĂ€ter hieß es dann wieder, wir sollten bremsen, der Neroberg sei ĂŒberbevölkert“, erinnert sich Wagner an widersprĂŒchliche Signale aus Politik und Verwaltung. 2006 kam der Kletterwald hinzu, der kĂŒrzlich deutlich erweitert wurde. Das Hauptproblem ist der Parkraum in den Stoßzeiten oder bei Veranstaltungen wie dem Impro-Sommer oder Opelbadfesten. Es reicht vor allem im Sommer hinten und vorne nicht mehr. Bei gutem Wetter ist der Neroberg brechend voll, und wenn das Opelbad, der Turm und der Kletterwald zeitgleich boomen, hat kein grĂ¶ĂŸeres Rettungsfahrzeug oder die Feuerwehr eine Chance, durchzukommen.

Frederik Malsy, Chef des Impro-Theaters „FĂŒr Garderobe keine Haftung“ und des Impro-Sommers auf dem Neroberg:

„Die Mulde auf dem Neroberg ist eine einzigartige SpielstĂ€tte, sie besitzt einen unvergleichlichen Charme und hat ein Flair, das seinesgleichen sucht. NatĂŒrlich ist eine Veranstaltungsreihe dieser GrĂ¶ĂŸenordnung immer mit Herausforderungen verbunden, und gerade die Situation auf dem Neroberg erfordert kreative Lösungen. Die An- und Abfahrtssituation sowie die Parkmöglichkeiten sind unbefriedigend, die fehlenden sanitĂ€ren Anlagen erhöhen die Kosten fĂŒr jeden Veranstalter. Die Infrastruktur insgesamt ist völlig unzureichend. Dennoch: Das Wiesbadener Publikum hat die Mulde fĂŒr den Impro-Sommer in sein Herz geschlossen. In nunmehr 15 Jahren gab es keine einzige Beschwerde aufgrund der LautstĂ€rke, keinen einzigen Vorfall von Verschmutzung und keine BeeintrĂ€chtigungen der Anwohner. Das macht uns umso stolzer, als dass seit 2004 mittlerweile rund 150.000 Menschen zu Gast beim Impro-Sommer waren. Eine Verbesserung der Infrastruktur auf dem Neroberg begrĂŒĂŸen wir sehr, eine Verschlechterung, zum Beispiel durch den Wegfall von PlatzkapazitĂ€ten oder weiter verschĂ€rften Auflagen der Nutzung wĂŒrden wir und sicher auch unser treues Publikum sehr bedauern.“

Fehlende Infrastruktur und Anbindung

Der starke Zulauf von GĂ€sten in diesen Stoßzeiten fĂŒhrt neben der verkehrlichen Erschließung zum zweiten großen Problem fĂŒr alle Akteure. Es gibt kaum öffentliche Toiletten. An der Talstation der Nerobergbahn wurde zwar etwas Abhilfe geschaffen. Doch der Kletterwald behilft sich nach wie vor mit mobilen Toiletten, das Opelbad ist nur gegen Eintritt erreichbar. Thorsten Held als GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Kletterparks am Neroberg beklagt ebenfalls die EngpĂ€sse an gut frequentierten Tagen: „Ein Dauerthema sind die mangelnden öffentlichen Toiletten. Seit zehn Jahren sind wir hier um eine bessere Lösung mit der Stadt und den zustĂ€ndigen Ämtern bemĂŒht.“

Thorsten Held, GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Weitblick Naturerlebnis GmbH als Betreiber des Kletterwaldes:

„2005 haben wir nach einem guten Standort fĂŒr einen Kletterwald im Rhein-Main-Gebiet gesucht. Auf dem Neroberg haben wir diesen Platz gefunden. Mit der bestehenden Infrastruktur, den anderen Ausflugszielen und dem außergewöhnlichen Baumbestand ist es fĂŒr uns ein perfekter Ort. Wir sehen auf dem Neroberg die unterschiedlichsten Besuchergruppen – SpaziergĂ€nger, Jogger, Mountainbiker, Familien, KindergĂ€rten, Schulklassen. Ebenso unterschiedlich sind die AnlĂ€sse – Familienausflug, Wandertag, der tĂ€gliche Spaziergang (mit und ohne Hund), Training, Erholung, Kultur, et cetera. Da wir auch eine sehr breite Zielgruppe haben, passt das prima. Der Neroberg ist mit seinen AttraktivitĂ€ten einfach ein einzigartiges Ausflugsziel im Rhein-Main-Gebiet. Das spiegelt sich auch in unseren Erhebungen zur Herkunft unserer Besucher, die aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet, Rheinhessen und auch aus dem Frankfurter Raum kommen. Seit 2006 wurde der Kletterwald stĂ€ndig weiterentwickelt und ausgebaut. Im Jahr besuchen uns circa 60.000 GĂ€ste. Der Neroberg zeigt sich aber auch mit sehr unterschiedlichen Gesichtern. Manchmal sehr ruhig, wochentags und in der kalten Jahreszeit, und manchmal auch trubelig, wenn das Wetter passt oder Veranstaltungen stattfinden.“


Schwierigkeiten macht auch die Beleuchtung. Vor einigen Jahren wollte die Stadt Strom sparen und schaltete den grĂ¶ĂŸten Teil der Straßenbeleuchtung ab 22 Uhr ab, obwohl Wagner nach eigener Aussage angeboten hatte, die Mehrkosten von circa 1.200 Euro im Jahr zu ĂŒbernehmen. Im Bereich des Opelbades behilft man sich seitdem mit der Ausrichtung von Strahlern weit in die ParkplĂ€tze hinein. Doch die bereits ab 22 Uhr reduzierte Straßenbeleuchtung wird um 24 Uhr ganz abgeschaltet. Wagner zur Grundproblematik:

„Ideen sind viele da, aber die Infrastruktur fehlt. Sie wurde in allem vernachlĂ€ssigt. Es gibt keine Busanbindung. Im Winter ist der Neroberg abgeschnitten. Es wird nicht gestreut, es wird nicht gekehrt, es wird sich nicht darum gekĂŒmmert. Das heißt, wenn die Nerobergbahn zumacht, wenn Opelbad und Kletterwald schließen, ist er nicht erreichbar, und wir mĂŒssen die Gastronomie am Turm von November bis MĂ€rz dichtmachen. Was wir anfĂ€nglich nicht wollten. Im Winter lohnt sich eine Bewirtung des Turms nicht, und im Sommer erstickt der Neroberg im Verkehr, wĂ€hrend es fĂŒr Ă€ltere Besucher ohne eigenes Auto kaum möglich ist, ĂŒberhaupt zum Opelbad zu gelangen.“

Die ebenfalls zu unserer Runde am Turm hinzugestoßene Betriebsleiterin der Nerobergbahn, Sabine FĂŒll, kennt die Problematik gut. Die Nerobergbahn wird zu 80 Prozent von Touristen genutzt, Ă€hnlich wie auch der Turm selbst. Wiesbaden Marketing und Eswe Verkehr prĂ€sentieren „Wiesbadens schrĂ€gstes Wahrzeichen“ wieder vermehrt auch auf Touristikmessen, was auch dem Einsatz von Sabine FĂŒll zu verdanken ist. Die Nerobergbahn als Transportmittel wird jedoch seit einigen Jahren nicht mehr als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs gesehen. Seitdem gibt es keine oder nur noch stark reduzierte VergĂŒnstigungen fĂŒr Tickets fĂŒr Behinderte oder Schulklassen. Das verĂ€rgerte viele Menschen und trifft auch einige StammgĂ€ste im Turm. Es war letztlich eine politische Entscheidung des Aufsichtsrates, im Grunde könnte die Nerobergbahn durchaus hĂ€ufiger und lĂ€nger fahren. Aber die Betriebskosten sind hoch, und auch wenn der Verschleiß der Bahn gering ist: Ersatzsteile mĂŒssen nach Maß und individuell angefertigt werden.

Auf Nachfrage bestĂ€tigt Sabine FĂŒll, dass bei den immer milderen Wintern auch ein lĂ€ngerer Betrieb vorstellbar wĂ€re. Theoretisch könnte man mit einer nachgerĂŒsteten Heizung an den Ventilen auch bei leichten Minusgraden fahren. Stephan Wagner wĂŒrde sich schon freuen, wenn die Buslinie 8 wenigstens gelegentlich bis zum Opelbad oder gar Turm weiterfahren wĂŒrde. So könnte sich die Situation entspannen, sind es vom TrĂ€nkweg doch nur noch ein paar hundert Meter, meint Wagner. Einen Parallelbetrieb zur Nerobergbahn sieht wiederum Sabine FĂŒll kritisch. Eswe Verkehr wĂŒrde sich ja selbst das GeschĂ€ft wegnehmen. Man sieht schon hieran, dass die Akteure des Neroberges zwar weitgehend das gleiche Ziel haben – ein attraktives Tourismusziel und einen gut angebundenen Hausberg – jedoch auf dem Weg dahin mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert werden. Und eigenen Interessen. Ein Zwiespalt im VerhĂ€ltnis Nerobergbahn-Turm-Opelbad wird offensichtlich: Stephan Wagner wĂ€re schon froh, wenn nahe dem Turm und am Opelbad wirkliche BehindertenparkplĂ€tze errichtet wĂŒrden. Wenn alles zugeparkt ist, wird es schwierig, Ă€ltere GĂ€ste zu empfangen. Von der Nerobergbahn zum Opelbad ist der Weg fĂŒr diese zu beschwerlich. Und wenn sie aximal bis acht Uhr abends fĂ€hrt, nötigt dies auch andere zur Nutzung eines eigenen Autos oder Taxis.

Stadtwald und Verkehrssicherheit

Die Verkehrssicherheit mitten im Wald bringt uns zu weiteren Teilhabern am Gesamtgeschehen: Die Erlebnismulde steht im Besitz des GrĂŒnflĂ€chenamtes, betreut wird sie auch vom Kulturamt. FĂŒr den umliegenden Stadtwald, eingebettet in den Naturpark Rhein-Taunus, ist das Wiesbadener Forstamt zustĂ€ndig. Die zustĂ€ndige Abteilungsleiterin im GrĂŒnflĂ€chenamt, Sabine Rippelbeck, sieht den Neroberg derzeit ebenfalls an seinen KapazitĂ€tsgrenzen und jede Erweiterung kritisch. Wegen seiner Besonderheit in Lage wie Kulturgut wird er auch nicht als Wirtschaftswald gepflegt, sondern in besonderer Verantwortung gehegt. Dies ermöglichte auch die Etablierung eines Kletterwaldes in gewachsenem Eichen- und Buchenbestand. Im gesamten Bereich des Nerobergs, auch entlang des Naturerlebnispfades, wird wirklich nur geschnitten oder gefĂ€llt, wenn es unumgĂ€nglich ist. Das ist zwar im Sinne des Naturschutzes sinnvoll und richtig, bereitet aber auch gelegentlich der Nerobergbahn Probleme, wenn zum Beispiel ein außerhalb der Strecke stehender Baum droht, auf die Gleise zu fallen. Hier dĂŒrfen die Mitarbeiter nicht selbst Hand anlegen.

Dass die Natur sich jeden freien Raum sehr schnell zurĂŒckerobert, sieht man auch an den erst vor zwei Jahren per RĂŒckschnitt geschaffenen Sichtbeziehungen zur Russischen Kapelle. Sabine FĂŒll merkt an: „Es wĂ€chst schneller zu, als man schauen kann.“ Und Dr. Martino La Torre bringt das ganze Drama auf den Punkt: „Wenn man sie (die Sichtbeziehungen) nicht unterhĂ€lt, kommt irgendwann der große Knall. Es muss einen Wartungsplan geben fĂŒr den Neroberg, wie auch jede bedeutende GrĂŒnflĂ€che lĂ€ngst ein Parkpflegewerk hat. Hier wĂ€re es einer, der sagt: Alle fĂŒnf Jahre muss die Schneise freigeschnitten werden. Es mĂŒssen regelmĂ€ĂŸig die SichtbezĂŒge geprĂŒft werden. Wie auch jedes hessische Forstamt jĂ€hrlich die Verkehrssicherheit der BĂ€ume entlang der Wege prĂŒfen muss.“ Unisono stellt man unter DenkmalschĂŒtzern auch fest, das hinter der Griechischen Kapelle einst dunkle Tannen gepflanzt wurden, um einen besonders starken Kontrast zu den goldenen Kuppeln der russischen Kirche zu setzen. Hier hĂ€tte lĂ€ngst nachgepflanzt werden mĂŒssen. Doch dieser Teil des Waldes gehört der russisch-orthodoxen Gemeinde, einem weiteren Akteur.

Berthold Bubner: „Mit großem Schmerz und großer Trauer nehme ich wahr, dass die Stadt an sich selbst kein Interesse hat. Höchstens ein Merkantiles. Sie hat letztlich kein inneres Interesse an ihrer Vergangenheit. Es gibt zwar viele freundliche Geister, die sich darum bemĂŒhen, aber die PrĂ€sentation eigenen historischen Erbes scheitert ja bereits bei der Planung eines Stadtmuseums.“


Hildebert de la Chevallerie merkt hierzu ein altes Problem an: „Das Freischneiden der Sichtachse auf die Kirche hat damals schon lange KĂ€mpfe mit Forst und Naturschutz gekostet. Ein regelmĂ€ĂŸiger Freischnitt ist erforderlich. Es gibt aber noch eine andere Sichtachse, den Blick vom Monopteros ĂŒber die Opelbadwiesen auf die Stadt. Dieser Blick war zugewachsen. Durch eine Vertiefung der UmzĂ€unung, der Zaun wurde in einen Graben verlegt, entstand wieder eine „grĂŒner Blickachse“ ĂŒber die RasenflĂ€chen des Hanges am Monopteros und des Opelbades.  Man nannte dieses Verfahren in der Gartenkunst das Anlegen eines „Aha Grabens“. In englischen LandschaftsgĂ€rten sehr ĂŒblich, um das weidende Vieh am Betreten des Parks zu hindern und um einen weiten Blick in die Landschaft zu ermöglichen (hier auf die Stadt). „Aha“ deswegen, weil der Besucher, stand er plötzlich vor solch einem Graben, erstaunt „Aha“ ausrief. Dies Blickachse muss also auch regelmĂ€ĂŸig gestutzt werden“

Perspektive Neuausrichtung und -bebauung

Bereits 2012 wurde dem Magistrat vom Planungsausschuss der Auftrag erteilt, sich der Neuordnung des Areals zu widmen. Ein Entwicklungskonzept wurde von der WIM (Wiesbadener Immobilienmanagement GmbH) in Auftrag gegeben. Das Ergebnis wurde nicht bekannt, wohl auch, weil es dem OberbĂŒrgermeister nicht gefiel, wie es in einem Artikel von JĂŒrgen Hauzel im Wiesbadener Kurier 2015 öffentlich wurde. Der WIM Liegenschaftsfonds (als Tochter der WIM unter der Mutter der „Wiesbaden Holding“ WVV) wurde beauftragt, nun zunĂ€chst die FlĂ€chen zusammenzufĂŒhren. Denn dem stadteigenen Fonds gehören vor allem besonders historisch wertvolle Immobilien wie die WalkmĂŒhle, die LohmĂŒhle, das Pariser Hoftheater und eben auch der verbliebene Turm auf dem Neroberg. Wie Erik Schaab als GeschĂ€ftsfĂŒhrer bestĂ€tigt, sind die langjĂ€hrigen Verhandlungen zum RĂŒckerwerb der Erlebnismulde vom GrĂŒnflĂ€chenamt so gut wie abgeschlossen. Doch wie es weitergeht, was daraus einmal werden soll, ob Erlebnis-Areal oder großflĂ€chige Gastronomiebebauung, wie es damals hieß, scheint noch völlig offen.

Die WIM prĂ€ferierte offensichtlich eine Variante, nach der die Erlebnismulde zugeschĂŒttet wird, um darĂŒber einen modernen Neubau zu errichten. Gewollt und auch durchaus von DenkmalschĂŒtzern gewĂŒnscht wĂ€re eine große Terrasse in Ahnlehnung an jene des Neroberghotels, von der aus wieder ein Blick ĂŒber den Monopterus auf die Stadt möglich wĂŒrde. Ob und wie der Turm in eine Neubebauung eingebunden wird und ob er wieder als Aussichtturm genutzt werden kann, alles „eine Frage der technischen Möglichkeiten und der Finanzierbarkeit“.

OberbĂŒrgermeister Sven Gerich konstatierte schon damals: „Meine Billigung findet eine weitgehende EinschrĂ€nkung des Nerobergs fĂŒr die öffentliche Nutzung jedenfalls nicht. Und deswegen hat der WIM-Aufsichtsrat das vorgelegte Konzept auch hinterfragt und darum gebeten, einen Stehgreif-Wettbewerb auszuschreiben, um eventuell noch andere Nutzungsideen zu erhalten.“ Davon hört man jedoch seitdem nichts öffentlich. Es scheint eher so, als wĂŒrde das sensible Thema Neroberg bis wenigstens nach den Direktwahlen zum OberbĂŒrgermeister Anfang 2019 zurĂŒckgestellt. Aber dass sich dort oben etwas tut, scheint allseits gewĂŒnscht, und es bleibt zu hoffen, dass aus den vielfĂ€ltigen Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde. Bevor sich der Himmel ĂŒber dem Neroberg wieder verfinstert …

OberbĂŒrgermeister Sven Gerich: 

„FĂŒr den Neroberg wĂŒnsche ich mir eine attraktive Neugestaltung, in der vor allem Familien mit Kindern und Erholungssuchende auf ihre Kosten kommen. Dazu gehört fĂŒr mich eine moderne und fĂŒr Familien bezahlbare Gastronomie, ausreichend Toiletten (auch fĂŒr den Kletterwald), eine Neuordnung des Parkplatzchaos und der Erhalt der Liegewiese.“

KOMMENTAR
Von Mario Bohrmann

Es ist derzeit fĂŒr alle Beteiligten ein Teufelskreis. Bevor nicht klarer ist was hier draus wird, will die Stadt kein Geld in die Infrastruktur stecken und als PĂ€chter des Turms fĂŒhlt man sich alleine gelassen. Unternimmt vielleicht auch selbst zu wenig, was bei unsicherer Zukunft verstĂ€ndlich ist. Dabei ist das Potenzial des Nerobergs so gewaltig. Wenn die Leute nur wieder mehr laufen oder Rad fahren wĂŒrden und nicht mit dem eigenen Auto kommen mĂŒssten. Oder wenn es eine verlĂ€ngerte Buslinie 8 geben wĂŒrde, oder die Nerobergbahn öfter fahren wĂŒrde.

Unser Hausberg muss auch fĂŒr uns wieder eine Reise wert werden. Nicht nur fĂŒr Touristen, die auch gerne den Besuch der Rheingauer Weinwoche damit kombinieren. Eine gut befreundete Mitarbeiterin im Service von „Wagner im Turm“ trifft beruflich wie privat auf viele amerikanische GĂ€ste. Hier oder in der „UrÂŽs Sports Bar“ neben dem Caligari. Ein Standardsatz vieler Begegnungen könnte lauten: „The wine-thing, the festival of wine – this ist the week, to come back for vacation“ Zugleich sagt sie: „An Touristen mangelt es nicht, aber wo sind die Wiesbadener? Wir haben 80 Prozent FeriengĂ€ste, 20 Prozent Wiesbadener, davon 5 Prozent StammgĂ€ste. Die Wiesbadener picknicken eher in der Mulde oder auf der Wiese, machen HeiratsantrĂ€ge im Monopterus, und das wars. Es ist fĂŒr sie allgemein zu unattraktiv, um regelmĂ€ĂŸiger zu kommen. Touristen sind da noch leichter zu begeistern. Mit Lage und Blick und der Nerobergbahn.“

Fakt ist, es tut sich was.

Wohlwollend geplant könnte man die extra aus dem Schwarzwald herangekarrten Steinblöcke aus der Mulde zunĂ€chst an ihren neuen Platz versetzen, um dem Improtheater unterbrechnungsfreies Spieldasein jeden Sommer zu ermöglichen, wĂ€hrend zugleich dahinter etwas Neues entsteht. Etwas, womit die Wiesbadener weitgehend dÂŽaccord gehen. Es sollte etwas „Großes“ werden, aber nichts Großes sein. Fasst man die gesammelten HintergrĂŒnde und Erfahrungen zusammen, sollten elegante BezĂŒge zum Turm hergestellt werden und das oder die GebĂ€ude sollten als Restaurant und CafĂ© ganzjĂ€hrig nutzbar sein. Zugleich muss der Landschaftscharakter und öffentliche Zugang erhalten bleiben, fĂŒr den Wanderer wie den kindlichen Erkunder des Naturpfades oder Besucher des Waldseilgartens. Denkmalschutz, Naturschutz, Umweltschutz, wirtschaftliche Interessen stĂ€dtischer Gesellschaften und der Verkehrsbetriebe mĂŒssen unter einen Hut gebracht werden. Eine Quadratur des Kreises, die aber lösbar erscheint. Denn wohin ich auch kam, mit wem ich auch sprach, und es waren ein paar dutzend Menschen in den letzten Monaten – sie alle lieben ihren Neroberg und scheinen dem richtigen Konzept nicht im Wege stehen zu wollen. Wenn es sich zeigt. Im Gegenteil …