Das Höppli-Haus – die Ornamente-Fabrik

Das Höppli-Haus – die Ornamente-Fabrik

– Zwei frĂŒh verstorbenen jungen VisionĂ€ren ist ein Gutteil des Wiesbadener Baukulturerbes zu verdanken: Der erste wĂ€re der junge Architekt Georg Friedrich FĂŒrstchen, der nicht nur die Villa Clementine baute, sondern auch Werkstatt und Wohnhaus fĂŒr den zweiten VisionĂ€r, den Bildhauer und Keramikproduzenten Johann Jacob Höppli. Dieser hatte sein Domizil in der Wörthstraße in einem GebĂ€ude, das schon außen Höpplis zierendes Vollprogramm zeigte und zugleich als Ausstellungsraum diente, wĂ€hrend in den WerkstĂ€tten dahinter und in den Brennöfen im Keller Terrakotta höchster GĂŒte produziert wurden, die noch heute hunderte Villen, Prachtbauten und StadthĂ€user Wiesbadens schmĂŒcken.

Johann Jakob Höppli, 1822 als Sohn einer MĂŒllerfamilie im Thurgau in der Schweiz geboren, kam genau zur rechten Zeit nach Wiesbaden. Er sollte Steinmetz lernen, mit dem Hintergedanken, dass damit einer der Söhne die MĂŒhlsteine des elterlichen Betriebes selbst ersetzen kann. Doch das war Johann Jakob viel zu wenig. Bereits 1841 hatte er seine Lehre als Modelleur und Bildhauer beendet, doch noch lange nicht mit der Fortbildung abgeschlossen. Er ging auf Reisen und auf Wanderschaft, studierte ein Jahr Kunst-Bildhauerei im italienischen Carrara, das nicht zuletzt durch seinen weltweit bekannten Marmor berĂŒhmt ist, und besuchte auch die Schinkel-Schule in Berlin. Karl-Friedrich Schinkel war der klassizistische Stararchitekt des Königreichs Preußen, dessen damals noch recht neue Architekturschule bereits mit Tontafeln mit floralen Mustern neben den Backsteinmauern verziert wurden. Schinkel war es auch, der nach seinen Italienreisen Terrakotta-Elemente und die Backsteinarchitektur in der deutschen Baukunst wiederbelebte. Als Schinkel starb, legte Höppli gerade erst los.

Höppli fand großen Gefallen an der Technik, schneller und in grĂ¶ĂŸeren Auflagen Kunstwerke aus Ton herzustellen. Er war eigentlich auf dem RĂŒckweg in die Schweiz zu seiner Familie, doch seine letzte Wanderschaft fĂŒhrte ihn ĂŒber Hamburg durch den Taunus nach Wiesbaden, wo um 1846 der herzoglich-nassauische Landbaumeister Philipp Hoffmann auf ihn aufmerksam wurde. Dieser sollte bekanntlich fĂŒr den Herzog Adolf von Nassau ein Monument fĂŒr dessen frĂŒh verstorbene russische Prinzessin errichten – eines der heutigen Wahrzeichen Wiesbadens.

 

Es begann mit den Sakralbauten

So erhielt Höppli seinen ersten Großauftrag fĂŒr die gerade begonnene russisch-orthodoxe Kapelle auf dem Neroberg und stellte Modelle und Gussformen fĂŒr die keramischen Dekorationen her. Dazu kaufte er sich 1848 in die „Fayencen-Manufaktur Leicher“ in der Dotzheimer Straße ein, in der er bis zur GrĂŒndung seiner eigenen „Thonwaaren-Fabrik“ 1863 erst Modelleur und dann Teilhaber war.

Die erste große Arbeit von Höppli war es, die zahlreichen Verzierungen der russischen Kapelle zu produzieren. In seinem damaligen Haus in der Wörthstraße befindet sich im Eingangsbereich des linken SeitenflĂŒgels noch heute ein Wandfries mit Putten, die auch die Kuppel der russischen Kapelle schmĂŒcken. Ein zweiter Großauftrag folgte nahezu gleichzeitig: Er sollte Terrakotta-Elemente fĂŒr die mit Backsteinen verkleidete Marktkirche herstellen. FĂŒr deren Architekten Carl Boos lieferte Höppli SĂ€ulenkapitelle, Gesimse, Kreuzblumen sowie viele andere Ornamente, die unter anderem das Hauptportal und die Kirchturmspitzen zieren. Diese wurden nicht mehr von Hand gemeißelt, sondern kamen nun serienmĂ€ĂŸig aus den Brennöfen der Manufaktur Leicher und Höppli. Am Hauptportal der Marktkirche kann man noch Kacheln mit dem Schriftzug der Höppli-Fabrik erkennen, aber lĂ€ngst nicht nur dort.

Auch die Bonifatiuskirche zeigt gotische Details aus Terrakotta von Höppli, ebenso stammen die zahlreichen schlanken TĂŒrmchen der Geisenheimer Pfarrkirche Heilig Kreuz, auch Geisenheimer oder Rheingauer Dom genannt, von ihm. Auch hier zeichnete der gebĂŒrtige Geisenheimer Philipp Hoffmann fĂŒr die Sanierung und Erweiterung des heute rund 500 Jahre alten Kirchenbaus verantwortlich. Es steht aufgrund zeitlicher Unvereinbarkeit zu vermuten, dass die kleinen TĂŒrmchen und Zierelemente erst spĂ€ter angebracht wurden, als der eigentliche Kirchenumbau bereits abgeschlossen war und Hoffmann Höppli kennenlernte. Denn erst dessen Serienproduktion machte solchen Schmuck erschwinglich.

Nach der russischen Kapelle, Markt-, Bonifatius- und Geisenheimer Kirche hatte Höppli GotteshĂ€user aller großen christlichen Strömungen verziert. 1863 kam ein weiteres Gotteshaus dazu: die Synagoge am Michelsberg. Wieder beauftragte ihn Philipp Hoffmann, der den Bau der Synagoge leitete, fĂŒr den Zierat des GebĂ€udes zu sorgen. In diese Zeit fĂ€llt auch die Loslösung von der Fayence-Manufaktur Leicher; Höppli stellte den Antrag, eine „WerkstĂ€tte mit Brennofen“ neben seinem Wohnhaus in der Dotzheimer Straße errichten zu dĂŒrfen.

INFO ZUR TERRAKOTTA-PRODUKTION

Die Grundsubstanz der Terrakotta (von „Terra cotta“ = gebrannte Erde) ist Ton, ein Verwitterungsprodukt feldspathaltiger Gesteine, die je nach Eisen- oder Kalkanteil unterschiedliche Gelb- und Rottöne enthalten können. Die stets natĂŒrlich-warmen Farbtöne sind auch als Farbbezeichnung in den Sprachgebrauch eingegangen. Höppli verwendete auch vermahlenen Speckstein und eigene Rezepturen (Magerung).

Terrakotta-Erzeugnisse werden bei Temperaturen zwischen 900 und 1.000 Grad einmal gebrannt und bleiben unglasiert. Somit ist ihre Herstellung relativ einfach und preiswert im Vergleich zu sogenannten Fayencen, die mit einer weiß deckenden oder farbigen Glasur aus Zinnoxid ĂŒberzogen und mehrfach gebrannt werden. Da Ton als Ausgangsstoff in großen Mengen vorkommt, leicht zu bearbeiten und dennoch sehr haltbar ist, ist er einer der Ă€ltesten Werkstoffe der Kulturgeschichte und war bereits in der Antike weit verbreitet. Weitere BlĂŒtezeiten der Terrakotta waren die Renaissance und das 19. Jahrhundert.

 

Werkstatterweiterung und Bau des Höppli-Hauses

Höpplis Heirat 1860 in die angesehene Familie des Schreinermeisters Christian Gaab (Initiator der ersten Berufsschule, noch Gewerbeschule genannt und spĂ€ter EhrenbĂŒrger der Stadt), den man heute als „gut vernetzt“ bezeichnen wĂŒrde, erleichterte nun auch den Zugang zu privaten Bauherren und damit weiteren AuftrĂ€gen in der aufstrebenden Kurstadt. Kein Wunder, dass Höppli nun nicht mehr mit einer Teilhaberschaft zufrieden war, sondern in seiner eigenen „Thonwaarenfabrik“ produzieren wollte. 1867 erhielt er zudem auf der Pariser Weltausstellung eine Auszeichnung fĂŒr einen mehrstufigen, mit Tritonen und Delfinen geschmĂŒckten Brunnen, was ihm auch internationale Aufmerksamkeit einbrachte.

1868 vergrĂ¶ĂŸerte sich der Betrieb in der Dotzheimer Straße erneut um dahinterliegende WerkstattgebĂ€ude. Eine weitere Möglichkeit der Erweiterung ergab sich fĂŒr Höppli mit der seitlich direkt angrenzenden und als Verbindung zwischen Rheinstraße und Dotzheimer Straße neu geschaffenen Wörthstraße. Er entschloss sich zu einer reprĂ€sentativen Frontbebauung, die er ab 1873 mit dem gerade einmal 26-jĂ€hrigen Georg Friedrich FĂŒrstchen umsetzte. Dieser junge Architekt errichtete in Wiesbaden bis zu seinem frĂŒhen Tod elf Jahre spĂ€ter 36 Villen und StadthĂ€user und war der wohl produktivste und begehrteste Wiesbadener Architekt seiner Zeit.

Der Höppli-Bau sollte allerdings nicht nur reprĂ€sentativ sein und anhand seiner Fassade zeigen, was man herstellte, sondern auch zusĂ€tzlichen Raum zur Ausstellung der eigenen Werke bieten. Dies setzte FĂŒrstchen durch einen in Wiesbaden recht einzigartigen Kunstgriff um: Er schuf zur Straße hin einen begrĂŒnten Innenhof, fĂŒr den die Bezeichnung „Vorgarten“ deutliches Understatement wĂ€re. Denn der Architekt keilte diesen Hof regelrecht ein zwischen den hohen Prachtbauten der vierflĂŒgeligen Anlage und grenzte ihn Ă€ußerst dekorativ mittels vier weiblicher Statuen, Karyatiden genannt, von der Straße ab. Diese ĂŒberdimensionalen Figuren trugen noch bis vor wenigen Jahren eine schmĂŒckende Pergola. Bis unters Dach wurden die GebĂ€ude der Wörthstraße 4–6 mit Kacheln, SĂ€ulen, Giebelmotiven und Blendquadern verziert. Die FĂŒlle architektonischer Beiwerke und ornamentaler Schmuckelemente innen wie vor allem außen dĂŒrfte in Wiesbaden immer noch einzigartig sein. Auch wenn einige Figuren im Hof im Laufe der Zeit verschwanden und die ĂŒppigen Stuckarbeiten des SĂŒdflĂŒgels durch BombenerschĂŒtterungen des Zweiten Weltkrieges beschĂ€digt und spĂ€ter abgetragen wurden, sticht das GebĂ€ude immer noch im Straßenbild hervor.

Berthold Bubner, langjĂ€hriger Leiter des stĂ€dtischen Dankmalschutzamtes, Regierungsbaumeister und Hauptkonservator a. D. ist auch im Ruhestand und hohem Alter immer noch sehr rege und machte uns bei unseren Recherchen nicht nur persönlich auf den Architekten FĂŒrstchen aufmerksam, sondern traf sich mit uns am Höppli-Haus. Bereits 1987 schrieb er dazu in der Publikation „Ein Beitrag zur Wiesbadener Baukultur“ in „Wiesbaden International“:

„Die Fassadenstrukturen des neuen GebĂ€udes waren in der traditionellen Manier der oberitalienischen Renaissance des 16. Jahrhunderts gegliedert, boten aber gleichwohl den ganzen Reichtum französischer Beaux-Arts-Dekoration. Im eigentlichen Sinne waren sie als Werbebauten gedacht, um das ganze Repertoire der Höppli‘schen Terracotta gewissermaßen wirkungsvoll vor Augen zu fĂŒhren.

Die BĂŒsten von Raffael, Schinkel und Wilhelm I. in den Medaillons der Fensterbögen der Hauptetage ergĂ€nzten die Formensprache als zugrundeliegendes kĂŒnstlerisches Programm. Im Sog einer unerhörten ProsperitĂ€t, die das neu gegrĂŒndete Reich allenthalben erfĂŒllte, stieg der Verbrauch an Fayence-Erde (Anmerkung: besonders feine Tonerde) in Höpplis Betrieb im Jahre 1873 auf 20.000 Liter, die von 15 Arbeitern bewĂ€ltigt wurden.“

 

Höppli erlebte die Fertigstellung nicht. 1876, noch vor dessen Vollendung, starb Johannn Jakob Höppli unerwartet im Alter von nur 54 Jahren. Er hinterließ zwei Töchter, die beide Lehrerinnen wurden, und seinen Sohn Christian, der erst zwölf Jahre alt war. Mit Hilfe von Christian Gaab konnte seine Witwe das Unternehmen so lange weiterfĂŒhren, bis die Ausbildung des Sohnes zum Keramikingenieur 1892 abgeschlossen war. Das Terrakottawerk erfuhr jedoch RĂŒckschlĂ€ge durch die wirtschaftlichen ErschĂŒtterungen der GrĂŒnderzeit und den Verlust des erfahrenen und nun an allen Ecken und Enden fehlenden FirmengrĂŒnders. In den 16 teilweise schwierigen Übergangsjahren konnte nur noch ein Drittel der Belegschaft beschĂ€ftigt werden. Doch nun ging es wieder aufwĂ€rts.

Um die Jahrhundertwende sicherten GroßauftrĂ€ge im Zuge des Baus des neuen Kurhauses, des Theaterfoyers, der Landesbibliothek und des Landesmuseums, aber auch der Austausch der verwitterten Sandsteinfiguren auf der Rotunde des Biebricher Schlosses gegen langlebigere aus Ton, die Existenz der Firma. Mit dem Ersten Weltkrieg waren der Bauboom und die Nachfrage nach Zierelementen weitgehend erloschen, und Jakob Höpplis Nachfahren produzierten Elektrokeramik, also Isolatoren und halbleitende keramische Werkstoffe fĂŒr die Elektrotechnik, auch Spulen fĂŒr erste elektrische BĂŒgeleisen.

Noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde kontinuierlich in den WerkstĂ€tten produziert und letztlich hunderte Villen der Innenstadt, aber auch zahlreiche bĂŒrgerliche HĂ€user in den Vororten und etliche Grabmale durch Ornamente, Zier- und VersatzstĂŒcke aus dem Hause Höppli ausgestattet. Mit dem Tod von Christian Höppli, der 1945 in Biebrich bei einem der letzten Fliegerangriffe umkam, endete die Produktion in der Wörthstraße endgĂŒltig. Der große Schornstein wurde 1946 abgerissen und die WerkstĂ€tten zu Wohnraum umgebaut. Die zuvor offenen Rundbögen zu Werkstatt und Ausstellungsraum hin wurden vermauert. Die beiden großen Rundöfen im hinteren Teil des Kellers sind noch heute erhalten, leider jedoch teils mit Bauschutt verfĂŒllt. Auch die Nebenkeller, die als Lager fĂŒr Kohle und Ton dienten, mit SchĂŒttung von oben aus dem Innenhof, sind noch erhalten.

Berthold Bubner dazu:

 

„Mit dem ausklingenden Jahrhundert hatten sich (…) die Kunstideale völlig gewandelt und mit ihnen das SelbstverstĂ€ndnis in der Vollendung einer besonderen, klassischen Tradition.

An zahlreichen Wiesbadener Bauten sind gleichwohl Höpplis keramische Formen erhalten geblieben. Sie geben jedermann Kunde von der geistigen Weite ihres Erfinders und der schönen Anmut seiner Passion.“

Das Höppli-Haus heute und Erinnerungen der Familie

Es ist nicht nur den Publikationen darĂŒber, sondern vor allem der letzten im Höppli-Haus lebenden Nachfahrin des Erbauers, Helma Höppli, zu verdanken, dass wir diese fĂŒr Wiesbaden so wichtige Baugeschichte ausfĂŒhrlich nachzeichnen können. Mehrfach haben wir in den letzten Wochen mit ihr telefoniert und gemailt und sie anlĂ€sslich der Eröffnung des Stadtmuseums im September dann auch persönlich vor ihrem frĂŒheren Haus getroffen.

Denn sehr viel ging in den Wirren der Nachkriegszeit, aber auch mangels Interesse an der Technik und Erhaltung, verloren. Man kann heute nicht einmal mehr genau sagen, wie damals gearbeitet wurde.

Gesichert ist die enge Zusammenarbeit mit Friedrich Drake aus Berlin, Wiesbadener Bildhauern wie Heinrich Schies-SchĂŒler und einigen weiteren bildenden KĂŒnstlern. Diese modellierten die figĂŒrlichen, pflanzlichen und ornamentalen Dekorationen, von denen Höppli GipsabgĂŒsse anfertigte und diese verfeinerte. Aber die meisten Formen seiner Fabrikation zeichnete und modellierte er wohl selbst – oft aus dem „Negativ“. Er muss eine unglaubliche Vorstellungskraft besessen haben, um seine Skizzen und Erinnerungen aus seinen Reisen oder Neukreationen in eine Form zu ĂŒbertragen, erzeugte er die vielen Motive doch reproduzierbar in verschiedenen Gussformen. Erhalten sind davon kaum noch welche.

In den zuletzt noch zugÀnglichen Dokumenten und den wenigen noch vorhandenen Formen und Figuren der Familie Höppli, die weitgehend dem Stadtmuseum vermacht wurden, finden sich nur noch wenige Hinweise zum Arbeitsstil und seinen Anregungen aus dem kulturellen Umfeld seiner Zeit.

Vermutet wird, dass Jakob Höppli entweder schon zu seiner Zeit der Wanderschaft oder noch wĂ€hrend des schon laufenden eigenen Betriebes auch in Griechenland zu Gast war. Denn der antikisierende Stil vieler seiner Werke zeigte sich insbesondere auch in den vier Karyatiden. So werden weibliche Figuren als tragende SĂ€ulenelemente bezeichnet, die bis heute den Vorgarten des Höppli-Hauses zur Straße hin beeindruckend abgrenzen und sich auch in einer Villa an der Viktoriastraße unter einem Balkon wiederfinden.

Biebricher Schloss – Rotunde der Götter

Auch die auf der Rotunde des Biebricher Schlosses stehenden, jeweils paarweise angeordneten 16 Statuen antiker Götter hat wohl bereits Johann Jakob Höppli als Skizzen parat gehabt, wenn nicht sein Sohn Christian sie mit gleichartiger Perfektion und Kunstfertigkeit erst spÀter erzeugte. Die römischen Gottheiten Minerva und Mars, Venus und Merkur, Jupiter und Juno sowie Apoll und Diana wiederholen sich in doppelter Anreihung.

Es zeichnen sich aber Fehler in der GeschichtsĂŒberlieferung oder in der Erinnerung der Protagonisten ab. Die zweifache Anordnung der Figuren erklĂ€rt sich möglicherweise daraus, dass bei der Sanierung im Jahr 1896 bis 1898 manche Figuren stark verwittert und nicht mehr zu erkennen waren. Waren es zuvor möglicherweise 16 verschiedene Figuren? Niemand kann es mehr genau sagen. Auch nicht, wann die letzten gefertigt und angebracht wurden. Erstaunlich ist, dass uns Helma Höppli die gefestigte Erinnerung ihres Schwiegervaters schildern kann, der zu dieser Zeit erst geboren wurde. Und wir haben wenig Grund, an solchen zu zweifeln. Zwischen 1901 und 1904, der kleine Hermann Höppli war zwischen vier und sieben Jahren alt, kamen große Heuwagen ĂŒber die damals noch eher als Feldweg befestigte Schiersteiner Straße zur Fabrik gefahren, um die letzten Figuren fĂŒr das Schloss abzuholen. Mit großen Seilwinden hievten die Arbeiter die vorgefertigen und zusammengesetzten ĂŒberdimensionalen Götterfiguren auf das weiche Heubett der Pferdefuhrwerke und setzten sie im Biebricher Schloss auf die Rotunde. In spĂ€teren Jahrzehnten wurden die Statuen ĂŒberstrichen. Sie stehen aber, dauerhaft haltbar, noch heute dort, nach Wiesbaden, gen Osten, gen Westen und zum Rhein gerichtet.


Ein bisschen Schwund ist immer – Grenzen der Zumutbarkeit

Die Karyatiden am Höppli-Haus, ebenfalls griechisch inspirierte Motive, sind jedoch nicht mehr original. Im Gegensatz zu den vielen Kacheln und Balustern, kleineren ZiersĂ€ulen und anderen Figuren, die im wahrsten Sinne „Ton in Ton“ gehalten wurden, also in einem StĂŒck, ohne Fremdelemente, entstanden, trugen die großen Karyatiden und auch andere Figuren, die nicht in einem StĂŒck gebrannt werden konnten, einen verbindenden oder tragenden Metallstab in sich. Dieser wurde in die Terrakotta eingebrannt oder spĂ€ter mit ihr verdĂŒbelt. Hier wie bei vielen Ă€hnlich verbundenen Sandsteinfiguren jener Epoche wurde mit der Zeit die SchwĂ€che des damals verfĂŒgbaren Stahls augenfĂ€llig, der eher noch aus normalem Eisen bestand, aber noch nicht veredelt und damit korrosionsfrei war. Rost, dadurch eindringende Feuchtigkeit und Frost sprengten so manche Terrakottafigur und machen bis heute auch vielen DenkmĂ€lern aus Sandstein und anderen Materialien zu schaffen.

Auch die Karyatiden vor dem Höppli-Haus zeigten immer mehr Risse und drohten, bald völlig auseinanderzubrechen. Berthold Bubner erzĂ€hlte uns die Geschichte von ihrer Sanierung und damit auch die Grenzen der Zumutbarkeit in der Erhaltung denkmalgeschĂŒtzter Ensembles fĂŒr deren EigentĂŒmer. Denn als vor rund 30 bis 40 Jahren klar wurde, dass ein Ersatz her muss, um das Gesamtbild zu bewahren, holte man zahlreiche Angebote ein, um die Terrakotta originalgetreu wieder abzubilden. Nur waren weder die Formen dazu auffindbar, noch war ein Guss ohne weiteres möglich. Denn ein einfacher, leicht möglicher Abguss nebst Ausbesserung der vorhandenen Figuren hĂ€tte diese durch den Brennvorgang um rund zehn Prozent der GrĂ¶ĂŸe „eingedampft“, der ĂŒbliche Schwund bei der Produktion.

Dies war jedoch durch die dadurch verlorengehenden Proportionen nicht hinnehmbar, und die einzige Alternative wĂ€re Handarbeit gewesen. Eine vollstĂ€ndig von Hand nachgebildete und auf diese Maße angepasste Karyatide hĂ€tte jedoch rund 200.000 D-Mark gekostet und kam einer Bildhauerarbeit wenigstens gleich. Dies viermal vollbracht, mithin aus heutiger Sicht bald eine halbe Million Euro teuer, war nicht zumutbar. Das entschieden auch die Behörden und erlaubten den Abguss der originalen Figuren im weniger ansehnlichen, aber ebenso haltbaren und leicht eingefĂ€rbten Zement fĂŒr einen Bruchteil der Kosten.


Verschollenes und Vergessenes

Diese AbgĂŒsse befinden sich noch heute am Höppli-Haus, wenngleich die Pergola mittlerweile verwitterte und abgenommen wurde. Die Originale schlummerten lange Zeit in den Kellern des Biebricher Schlosses. Erst die Recherchen von Dr. Thomas Weichel fĂŒr eine große Höppli-Ausstellung im Markkeller 2008 brachte sie wieder ans Licht. Die Stadt Wiesbaden löste damit auch ein Versprechen gegenĂŒber der Familie Höppli ein, die bereits in den 1970er Jahren ihre letzten StĂŒcke und Formen dem Stadtmuseum vermachte.

So wurden die aus den Kellern des Schlosses nach Wiesbaden gebrachten Kunstwerke wie eine archĂ€ologische AusgrabungsstĂ€tte inszeniert. Der Fotograf Stanislaw Chomicki setzte sie auch fĂŒr einen Ausstellungskatalog in Szene, bevor das VermĂ€chtnis der Höpplis in die Archive des Stadtmuseums wanderte. Nun ist eines der besterhaltenen StĂŒcke im neu eröffneten Stadtmuseum am Markt zu bewundern. Eine sitzende Frauenfigur in LebensgrĂ¶ĂŸe, als „Allegorie des Sommers“ bezeichnet.

Weitere Objekte mit Terrakotta von Höppli, neben den bereits genannten Objekten, finden sich noch an hunderten Villen und HÀusern im ganzen Wiesbadener Stadtbild.

Auch die Balluster, SĂ€ulen und Deckenkanten der Casino-Gesellschaft in der Friedrichstraße, der verspielte Treppenaufgang im Theaterfoyer und dessen Putten und Verzierungen, die spĂ€ter vergoldet oder lackiert wurden, stammen aus der Ornamente-Fabrik in der Wörthstraße. Die reichliche Ausstattung der Alten Synagoge und des PaulinenschlĂ¶ĂŸchens gingen mit deren Zerstörung vollstĂ€ndig verloren.

 

EnttÀuschte Erwartungen

Es gibt noch einige Randanekdoten aus der Familie Höppli, die der Stadt Wiesbaden zu denken geben sollten ĂŒber Ignoranz gegenĂŒber Wiesbadener Kunsthandwerk und mangelndem Denkmalschutz, die sich so nicht wiederholen dĂŒrfen.

Hermann Höppli, als Enkel des GrĂŒnders der letzte aktive Keramiker der Familie, erzĂ€hlte seiner Schwiegertochter Helma Höppli zu Lebzeiten noch viel von den Arbeiten des Vaters und Großvaters. Helma hatte, im Gegensatz zur sonstigen, bereits verstreuten und in anderen Bereichen tĂ€tigen Familie, großes Interesse daran. Hermann Höppli wurde 1897 geboren, als sein Vater Christian die Fabrik gerade wieder zu neuer BlĂŒte brachte. Auch er wurde Keramikingenieur und setzte die „Brennkultur“ fort, wenn auch nicht mehr mit Zierelementen, sondern im neuen, industrialisierten Jahrhundert eben mit Elektrokeramik. Er war schon nicht mehr in der eigenen Fabrik tĂ€tig, als der Vater starb, sondern leitete die Produktion einer anderen großen Fabrik. Die Familienmitglieder blieben aber alle Wiesbaden noch lange verbunden, und auch Hermann Höppli verbrachte in der Wörthstraße seinen Lebensabend.

 

Alter Friedhof – gnadenlos beerdigt

Ein großer Bruch und fĂŒr Wiesbaden ein unwiderbringlicher Verlust entstand mit der Entscheidung der Stadt, den Alten Friedhof unterhalb des bereits 1877 errichteten Nordfriedhofes in einen Freizeit- und Erholungspark zu verwandeln. Der Alte Friedhof an der Platter Straße hatte nicht nur (bis heute) malerischen Charakter, er war seit 1832 auch BegrĂ€bnisstĂ€tte nassauischer Persönlichkeiten mit zahlreichen, durch renommierte Bildhauer angelegten DenkmĂ€lern und Gruften. Erst 1955 fand dort die letzte Beerdigung statt. Doch schon rund 20 Jahre spĂ€ter wurde der Alte Friedhof zum Park umgewandelt. Manche GrabmĂ€ler wurde erhalten, andere versetzt, die meisten eingeebnet.

Auch das Höppli-Grab und das daneben liegende Grab des berĂŒhmten Chemikers und HochschulgrĂŒnders Fresenius sollte dem zum Opfer fallen. ErzĂŒrnt von dieser Maßnahme rang Höppli der Stadt ein Versprechen ab: Wenigstens die ornamentalen Figuren und Engel beider GrabstĂ€tten seien zu erhalten und sorgsam an die Friedhofsmauer zu versetzen.

Es mĂŒssen jedoch Dilettanten am Werk gewesen sein, oder die Stadt hatte es eilig und wollte nicht auskömmlich dafĂŒr bezahlen. Als der Park vollendet war, sah Hermann Höppli sein Familiengrab zerstört und nur noch verstĂŒmmelte Figuren mit abgerissenen Armen oder Beinen, stĂŒmperhaft versetzt. Er war fassungslos und wĂŒtend. Frustriert zerstörte er daraufhin auch alle alten Fotos auf Glasplatten, die durch Höppli vollendete HĂ€user um die Jahrhundertwende zeigten. Die Familie konnte ihn nicht davon abhalten.

Aufgrund von Erb-Auseinandersetzungen nach dem Tod Hermann Höpplis 1979 musste die Familie sich 1990 von dem Ensemble in der Wörthstraße trennen und verkaufte es zunĂ€chst an einen Privatmann. 1992, nach dem Tod ihres Mannes Reinhard, zog auch Helma Höppli aus und spĂ€ter zu ihrer Familie nach Kiel. Doch besucht sie seitdem regelmĂ€ĂŸig ihre alte Heimat, das Höppli-Haus und das Grab ihrer Schwiegereltern und ihres Mannes auf dem Nordfriedhof.

Der Löwenraub

SpĂ€ter gab es noch einmal einen EigentĂŒmerwechsel, begleitet von dem „Löwenraub“: Zwei Löwenfiguren, die rechts und links den Innenhof des Höppli-Haus begrenzten, wurden vom ZwischeneigentĂŒmer in dessen neue Villa nach Kronberg entfĂŒhrt. Er nahm es nicht so eng mit dem Ensembleschutz, zu dem auch die handwerklichen Figuren gehörten.

Was von Helma Höppli allerdings nicht unbemerkt blieb. Sie machte den stĂ€dtischen Kulturerbe-Beauftragten, Thomas Weichel, dessen Bilddokumentation wir hier ebenso verwendeten, und die Denkmalschutzbehörde darauf aufmerksam. Und die forderten die Löwen in einem jahrelangen Schriftwechsel zurĂŒck, was letztlich auch gelang, ohne dass es zu einem Prozess kam.

 

Daten und Fakten

Das GebĂ€ude Wörthstraße 4 – 6 beinhaltet heute 17 Wohnungen im Vorder- sowie im Hinterhaus. Von 45 bis 200 Quadratmetern WohnflĂ€che sind verschiedene Zimmeranzahlen und Grundrisse vorhanden. Das GebĂ€ude-Ensemble ist ein reines Wohnobjekt und beherbergt kein Gewerbe mehr. Die wegen alters- und witterungsbedingter SchĂ€den abgenommene Pergola ĂŒber den Karyatiden soll bald wieder ersetzt werden. Heute gehört das GebĂ€ude einer Immobiliengesellschaft aus DĂ€nemark und wird von einer Frankfurter Vermögensverwaltung gemanagt.

 

Leben Sie in einem Höppli-Haus oder gar in einem von FĂŒrstchen?

Das Lilienjournal wird mit dem ab Herbst beginnenden neuen Studiengang „Baukulturerbe“ der Hochschule RheinMain kooperieren. Wir suchen nach hier nicht genannten Objekten, die Höpplis Ornamente zieren. Auch möchten wir mehr erfahren ĂŒber weitere Bauten von Georg Friedrich FĂŒrstchen und bitten unsere Leser um Hinweise an redaktion@lilienjournal.de

 

Wesentliche Zeugnisse Höpplis mit AuszĂŒgen aus der Wiesbadener Bewerbung zum Weltkulturerbe ergĂ€nzt finden sich unter anderem hier:

Marktkirche

Schlossplatz 5, erbaut 1852–1862 (Architekt: Karl Boos mit Alexander Fach als Bauleiter). Erstes GroßgebĂ€ude Nassaus, das ausschließlich in roten Ziegeln ausgefĂŒhrt wurde. Die Ziegel kamen von einer Ziegelei aus Bierstadt. Industriell gefertigte Formsteine und serienmĂ€ĂŸig hergestellte Schmuckmotive aus gebranntem Ton von Jacob Höppli prĂ€gten das GebĂ€ude.

Russische Kapelle

(Weihe : 25. Mai 1855) und russisch-orthodoxer Friedhof (eingeweiht 1856), Neroberg (Architekt: Philipp Hoffmann). Die „griechische“ Kapelle auf dem Neroberg ist die erste und die bedeutendste von vier russischen Kirchen, die im Rhein-Main-Gebiet im 19. Jahrhundert entstanden. Die weiteren sind: Frankfurt am Main, Ludwig-Landmann-Straße, Ende des 19. Jh.; Bad Homburg, 1896–1899; Darmstadt, Mathildenhöhe, 1898–1899.

Der russische Friedhof birgt die GrÀber und Grabkapellen von Angehörigen der russischen Gemeinde aus der Zarenzeit sowie von Emigranten nach 1918.

 

Villa Viktoriastraße 19

1871–1872 (Architekten: Joseph Kreizner und Friedrich Hatzmann)

ist besonders wegen der Karyatiden der offenen Veranda im ersten Obergeschoss bemerkenswert.

 

Wartburg

Schwalbacher Straße 51, 1906 fĂŒr den 1841 gegrĂŒndeten Wiesbadener MĂ€nnergesang-Verein e. V. errichtet und in der barockisierenden Fassade mit erzĂ€hlenden Reliefs der Wiesbadener Tonwaren-Fabrik J. Höppli ausgestattet.

Villa Clementine

Frankfurter Straße 1/Wilhelmstraße, 1878–1882

(Architekt: Georg Friedrich FĂŒrstchen). Die Villa Clementine, die heute von der Stadt zu VortrĂ€gen genutzt wird und vom gleichen Architekten erbaut wurde wie das Höppli-Haus, wurde 1975 als Beitrag zum europĂ€ischen Denkmalschutzjahr restauriert und erneut vor wenigen Jahren saniert. So erstrahlt die Villa wieder in ihrer ursprĂŒnglichen Pracht, auch in den InnenrĂ€umen, die teilweise mit Höpplis Terrakotta verziert sind.

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